Herr Noll, die SVP fordert angesichts der vermuteten Hintergründe des Zürcher Seefeld-Mordes ein schärferes Haftregime. Ist der Strafvollzug in Schweizer Gefängnissen zu lasch?
Thomas Noll: Die Kritik der bürgerlichen Vertreter greift zu kurz. Eine Vollzugslockerung ist kein Wellnessprogramm. Es geht nicht darum, dass sich ein Insasse besser fühlen soll. Vielmehr dient die Resozialisierung nur einem Zweck: der Sicherheit. Das Ziel des Strafvollzugs ist die Verhinderung von zukünftigen Rückfällen. Das ist eine wahnsinnig anspruchsvolle Aufgabe.
Sie sprechen den Sicherheitsaspekt an. Ist es aber nicht auch gefährlich, einen verurteilten Gewalttäter wie Tobias Kuster unbegleiteten Hafturlaub zu gewähren?
Das Problem ist: Gar keine Hafturlaube wirken kontraproduktiv. Denn je fester man die Schraube während des Vollzugs ansetzt, desto sicherer wird zwar der Vollzug selbst. Doch die Gefahr nach dem Tag der Entlassung ist ungleich grösser. Das zeigen zahlreiche Studien aus dem Ausland.
Im Fall von Tobias Kuster zögerte das Gefängnis Pöschwies offenbar, was einen unbegleiteten Hafturlaub anbelangte. Erst nach rund drei Jahren durfte er einen Tag alleine in Freiheit verbringen.
Das deutet tatsächlich darauf hin, dass man sehr vorsichtig vorgegangen ist. Schliesslich wurde er «nur» zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Da blieb nicht mehr allzu viel Zeit, um ihn an das Leben draussen zu gewöhnen, zumal auch eine bedingte Entlassung in Betracht gezogen werden musste.
Wie wird entschieden, ob jemand Hafturlaub erhält und unter welchen Bedingungen?
Für jeden Häftling gibt es einen Vollzugsplan, der zusammen mit ihm erstellt wird. Er kann dabei zwar mitreden, mitbestimmen allerdings nicht. Der konkrete Entscheid, ob tatsächlich Hafturlaub gewährt wird, fällt eine ganze Gruppe von Verantwortlichen. Dazu gehören die fallverantwortliche Person vom Vollzugsdienst, die Anstalt selbst, der Therapeut und allenfalls ein Gutachter. Nur wenn diese einhellig der Meinung sind, dass man ein Hafturlaub verantworten kann, wird grünes Licht gegeben.
Dabei kommt es leider immer wieder zu Fehleinschätzungen, wie der aktuelle Fall zeigt.
Ja, aber sie geschehen zum Glück immer seltener. Denn die Instrumente zur Beurteilung der Rückfallgefahr werden immer besser. Eine Entwicklung, die wir sicherlich auch den bürgerlichen Parteien zu verdanken haben, die hier immer wieder Druck aufgesetzt haben.