Sozial-Irrsinn!
Familie kostet 60'000 Franken im Monat

Eine Flüchtlingsfamilie im Kanton Zürich wird bis zu 25 Tage im Monat je sechs Stunden lang betreut. Die horrenden Kosten treiben die Gemeinde in den Ruin.
Publiziert: 14.09.2014 um 10:02 Uhr
|
Aktualisiert: 30.09.2018 um 22:18 Uhr
1/2
Leben im Durchgangszentrum: Im Jahr 2012 berichtete der «Zürcher Unterländer» über die Familie.
Foto: Ausriss
Von Deborah Lacourrège und Katia Murmann

Vor dem dreistöckigen Haus stehen blaue Plastikstühle, eine Kindersocke liegt auf dem Boden. In einer Ecke parkt ein kaputter Kinderwagen, darin türmt sich Spielzeug in einem Plastiksack.

Das Haus in einer kleinen Gemeinde im Kanton Zürich ist Schauplatz eines Trauerspiels, das viele Verlierer kennt – und nur einen Gewinner: die boomende Sozialindustrie.

Erste Monate im Durchgangszentrum

Ayana* gehört zu den Verlierern. Die kräftige Frau sitzt auf der zerschlissenen Couch im Wohnzimmer, ein Kind auf dem Schoss, ein anderes tobt durch die Wohnung. Vor vier Jahren kam sie mit Mann und Kindern in die Schweiz. Die Familie gab an, aus Eritrea geflohen zu sein. Die ersten Monate in der Schweiz verbrachten sie in einem Durchgangszentrum, zwei Erwachsene und sechs Kinder in einem einzigen Raum.

Vor zwei Jahren und acht Monaten kam die Grossfamilie in die kleine Gemeinde, die rund 1000 Einwohner hat. Ayana und ihre Kinder bezogen eine Vierzimmerwohnung, bekamen eine B-Bewilligung – und Sozialhilfe: 1500 Franken zahlt die Gemeinde für die Miete, 2600 Franken für den Lebensunterhalt.

Doch die Integration scheiterte: Der Vater zog nach Winterthur ZH, die Mutter erwies sich als beratungsresistent, die Kinder fielen im Dorf unangenehm auf. Nachbarn berichten, sie hätten sich gegenseitig und andere Kinder verprügelt. Ein Mädchen habe ein anderes mit Steinen beworfen. Ayana sagt: «Es war alles zu viel.»

Dichtes Netz von Helfern

Seit bald drei Jahren kümmern sich deshalb die Behörden um die Mutter und ihre Kinder. Die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB) haben in dieser Zeit ein dichtes Netz von Helfern um die Familie gesponnen. Ein Netz, das den Ort an den Rand des Ruins bringt. Auch die Gemeinde gehört zu den Verlierern.

Vier der sieben Kinder sind mittlerweile in einem Heim untergebracht. Jeder Platz kostet die Gemeinde pro Monat rund 9000 Franken.

Um Ayana und ihre drei anderen Kinder kümmert sich eine Truppe von Sozialpädagogen. Die Telefonnummern von sieben Betreuern stehen auf dem Plan für September, der in Ayanas Wohnung liegt. Es ist der Versuch, ihrem Leben eine Struktur zu geben.

Im Schnitt sechs Stunden pro Tag stehen die Sozialarbeiter Ayana zur Verfügung, an 25 Tagen im Monat. Sie gehen mit ihr einkaufen, spielen mit den Kindern, räumen die Wohnung auf und putzen – für 135 Franken pro Stunde. Einsätze am Wochenende oder Abend werden mit einem Aufschlag von zehn Franken verrechnet. Auch ein Budget für Freizeitaktivitäten und «kleine Geschenke» hat die Sozialfirma: bis 50 Franken pro Monat.

Pro Jahr zahlt die Gemeinde 700'000 Franken

Allein die Kosten für diese Familienbegleitung, wie das Konstrukt im Fachjargon genannt wird, belaufen sich jeden Monat auf über 20'000 Franken. Zusammen mit den Heimkosten für vier Kinder und der Sozialhilfe muss die Gemeinde am Monatsende Rechnungen von über 60'000 Franken für die Flüchtlingsfamilie begleichen.

Pro Jahr entstehen der Gemeinde so Kosten von über 700'000 Franken, bei Steuereinnahmen von zwei Millionen Franken sind das fast 30 Prozent.

In Auftrag gab die Massnahmen nicht etwa die überforderte Mutter. Auch nicht die Gemeinde, die zahlt. Sondern die zuständigen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB), die am 1. Januar 2013 die Vormundschaftsbehörde ersetzte. Seitdem bewirtschaften Profis den Kinderschutz (siehe Box).

Für welche Leistungen sie Rechnungen stellen, bleibt im Dunkeln. Den Gemeinden verwehren die KESB jegliche Einsicht in die Arbeit in den Familien – mit Verweis auf den Persönlichkeitsschutz. Das Bundesgericht stützt diese Praxis. Die Gemeinden sollen zahlen – und schweigen.

So auch im Fall Ayana. Die Gemeindepräsidentin der kleinen Zürcher Gemeinde ist verzweifelt. «Wir wollten von der KESB genau wissen, wofür das ganze Geld aufgewendet wird. Doch man sagte uns nichts!» Über die Kosten, die mittlerweile die ganze Gemeinde interessieren, darf sie nicht sprechen. Die KESB habe ihr sogar mit rechtlichen Schritten gedroht, wenn sie etwas öffentlich mache.

KESB hat Schweigepflicht

«Das Schicksal einzelner Personen oder Familien darf nicht öffentlich verhandelt werden», begründet Karin Fischer, Präsidentin der zuständigen KESB Winterthur-Andelfingen. «Auch wenn es noch so viele Bürgerinnen und Bürger beschäftigt.» Die KESB würde damit ihre Schweigepflicht verletzen, die involvierten Gemeindebehörden das Amtsgeheimnis. Auch gegenüber SonntagsBlick wollte die KESB zu den konkreten Kosten keine Stellung nehmen.

Ayana sitzt in ihrer Wohnung, vor Bergen von Wäsche. Auf dem Boden liegen Schuhe und Spielzeug. Die Kinder haben die Tapete von den Wänden gerissen, mit Stiften auf den Putz gemalt. Sie versucht zu lachen. Doch ihre Augen sind traurig. Sie wirkt wie eine Frau, die nicht begreift, was um sie herum passiert – und welche immensen Summen der Schweizer Staat in ihre Familie investiert.

Eine Vollzeit-Nanny verdient rund 30 Franken pro Stunde. Warum verrechnet die Zürcher Sozialfirma, die sich im Auftrag der KESB um die Familie kümmert, fast das Fünffache? Der Stundenansatz von 135 Franken entspreche der Mindestkalkulation, heisst es bei der Firma. «Damit wir als Organisation unseren eigenen Ansprüchen und denen unserer Auftraggeber in Bezug auf Professionalität und Qualität unserer Arbeit gerecht werden können.»

«Rundumbetreuung hat nichts gebracht»

Von guter Qualität der Betreuung hat die Gemeindepräsidentin nichts gemerkt. «Die Rundumbetreuung hat nichts gebracht», sagt sie. «Sonst hätten doch nicht vier Kinder in ein teures Heim gebracht werden müssen!» So hofft sie nun, dass sich die Kosten für die Familienbetreuung halbieren – weil nur noch drei der Kinder zu Hause sind. Doch auch, wenn die Gemeinde 10'000 Franken pro Monat weniger zahlen müsste – Entlastung sieht anders aus.

«Wahrscheinlich kommen wir um eine Steuerfusserhöhung nicht rum», sagt die Gemeindepräsidentin. Es brodelt im Ort, seit die «NZZ am Sonntag» erstmals über den Fall berichtete. Einige Bürger rufen zum zivilen Ungehorsam gegenüber dem Kanton auf: «Die Gemeinde soll die Rechnungen einfach nicht mehr bezahlen! Mal schauen, wie lange es dann geht, bis es auch eine billigere Lösung gibt!»

Ayana selbst hat ihren eigenen Lösungsansatz. Sie sagt zu SonntagsBlick: «Nächstes Jahr will ich von hier weg, in ein grösseres Dorf, wo ich einige Leute kenne.»

Dem kleinen Zürcher Dorf würde das Entlastung bringen. Das Problem aber bleibt – es würde nur verlagert.

* Name der Redaktion bekannt

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?