Das Zürcher Verwaltungsgericht hat gestern einem Sechstklässler und seinen Eltern recht gegeben. Er habe keine 2,0 in seinem Deutschaufsatz an der Übertrittsprüfung ins Gymnasium verdient (BLICK berichtete).
Ein Blick in die Urteilsbegründung zeigt, was das Problem war: Der Schüler hatte ein Märchen geschrieben. Seine Geschichte handelt vom jungen Zauberer Merlin, dem eines Nachts die Grossmutter im Traum erscheint und ihn bittet, einen Hut unter einem Baum auszugraben und ihr zu bringen. Die Geschichte endet damit, dass Merlin den Hut der Grossmutter bringt und diese ihm erklärt, der Hut habe heilende Kräfte.
Fantasie nicht erlaubt
Die Schule hatte aber kein Gehör für die Fantasy-Geschichte. Sie urteilte, dass der Schüler das «Thema komplett verfehlt» hatte. Er hätte eigentlich eine Geschichte über einen Hut schreiben sollen, der nach Jahren in einer verstaubten Kiste im Estrich gefunden wurde. Doch sowohl die Kiste, als auch der Estrich fehlten im Text des Schülers.
Zu pingelig, findet das das Zürcher Verwaltungsgericht. Der Vorwurf, der Schüler habe das Thema verfehlt, sei nicht haltbar und damit willkürlich. Und: «Weshalb die Geschichte nicht in die Form eines Märchens hätte gekleidet werden dürfen, legt die Beschwerdegegnerin nicht dar und ist auch nicht ersichtlich.»
Die Schule muss nun nochmals über die Bücher und den Aufsatz neu bewerten.
Rekurse sind nicht selten
Lilo Lätzsch, Präsidentin des Zürcher Lehrerverbands, hat Verständnis für das Urteil: «Aufsatzbewertungen sind zu einem grossen Teil sehr subjektiv.» Die Übertrittsprüfung solle grundsätzlich dafür sorgen, dass die leistungsfähigen Schüler ins Gymi kommen. Aber: «Ein einziger Tag ist meiner Meinung nach nicht genügend aussagekräftig, um zu bestimmen, ob ein Schüler in Zukunft im Gymnasium genügend Leistung erbringen kann oder nicht.»
Dass Eltern vor Gericht gehen, ist laut Beat W. Zemp, Zentralpräsident des Dachverbandes Schweizer Lehrerinnen und Lehrer nicht ungewöhnlich. Er erklärt: «Prüfungsnoten und insbesondere Aufsatznoten sind immer wieder mal Gegenstand von Rekursen – besonders dann, wenn es wie hier um Aufnahmeentscheide an ein Gymnasium geht.» Dies sei ein normaler Vorgang, da die Schweiz ein Rechtsstaats sei.
Die Aufgabe des Gerichts sei es deshalb vor allem gewesen, zu eruieren, ob Willkür bei der Notengebung oder eine Diskriminierung gegenüber anderen Prüflingen bestand. «Offenbar ist das Gericht zum Schluss gekommen, dass die Note 2,0 willkürlich ist wegen der zu hohen Gewichtung des Kriteriums ‹Aufgabenstellung›, obwohl Rechtschreibung und andere Kriterien gut erfüllt sind.»