Tatsiana Zahner (40) aus Affoltern am Albis ZH klagt an: «Mein Sohn wird zwangsbehandelt mit Coachings und Therapien, dabei macht jede Massnahme ihn aggressiver.»
Mit seinem 85'000 Franken teuren Sondersetting pro Monat, das die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) veranschlagte, wurde Boris* (12) zum «neuen Carlos». Ein Sicherheitsdienst bewachte den Jungen rund um die Uhr (BLICK berichtete).
Der Junge kam 2008 als Kindergärtler mit der Mutter aus Weissrussland in die Schweiz. Damals schon wird der Junge auffällig, schubst eine Kindergärtnerin um. «Das lag auch daran, dass er kein Deutsch sprach», so die Mutter.
Danach landet das Kind in einer Sonderschule. Mit neun Jahren kommt er in ein Internat. «Schweren Herzens willigten wir ein, weil man uns sagte, dass er sich dort am besten entwickeln könne», sagt die Supermarkt-Verkäuferin. Dort sei er komplett durchgedreht. «Als er uns am Wochenende besuchte, hatte ich das Gefühl, das ist nicht mehr mein Sohn. Er fing auch an zu rauchen.»
Weil er sich verweigert und wieder eine Pädagogin schubst, muss er das Internat verlassen. Die von der Kesb eingesetzte Beiständin bringt den Jungen im Mai 2016 in der Stiftung Passagio in Lützelflüh BE unter. Die Mutter dazu: «Bei der Stiftung sagte man mir, es sei einfacher, wenn mir die Obhut entzogen würde, wegen der Bezahlung des Settings, sonst würde man ihn nicht aufnehmen, also willigte ich ein.»
Die Situation eskaliert während einer Kutschenfahrt
Mit dem Passagio gehts auf eine Reise, um sich besser kennenzulernen.
Eine Sozialarbeiterin, Boris, die Mutter und ihr damaliger Freund fahren mit einer Pferdekutsche durch Frankreich. «Wir übernachteten in der Kutsche. Auch hätten wir zusammen ein Feuer machen sollen.» Doch so weit kommt es nicht, die Situation eskaliert: «Ich gebe es zu, ich bin ausgerastet ab dieser Kuschelpädagogik. Dann sind wir nach Hause gefahren», sagt der ehemalige Lebensgefährte.
Kurze Zeit später der nächste Versuch: Das Trio zieht mit der Sozialarbeiterin in ein Haus am Aegerisee ZG. «Die Miete kostete 100 Franken pro Tag. Wir boten ihr an, bei uns zu Hause zu wohnen, doch das wollte sie nicht.» Die Erziehungstipps sind der Weissrussin mit C-Bewilligung fremd: «Wir sollten Boris immer fragen, was er möchte. Die Pädagogin sagte: Er müsse nicht in die Schule. Er gehe schon freiwillig, wenn er Lust hat.» Das Experiment wird nach knapp zwei Monaten abgebrochen.
Auch Sport wird versucht: «Die Pädagogin betreute daraufhin meinen Jungen zwei Wochen lang am Aegerisee weiter mit Rudern, weil es ihr Hobby ist», so die Mutter.
Der Geschäftsführer der Stiftung Passagio, Ruedi Trachsel, ist verantwortlich für die Ausflüge: «Wir nennen es Erlebnis-Pädagogik. Deren Qualität besteht darin, dass Klienten sich in einem neuen Umfeld begegnen können, grundsätzlich in der Natur.»
Boris ist mittlerweile in der psychiatrischen Klinik in Basel
Die Massnahmen greifen bei Boris nicht: Mittlerweile ist er in der psychiatrischen Klinik in Basel, in der geschlossenen Abteilung der Forensik. Die Mutter zeigt ein aktuelles Foto von ihm: Es soll seinen Hals zeigen, der mit Striemen übersät ist.
Sie sagt dazu: «Eine ältere Mitpatientin hat ihn mit einem Schal gewürgt, wollte ihn umbringen. Warum muss mein Kind mit verurteilten Straftätern untergebracht sein? Laut ärztlichem Gutachten gehört er nicht dorthin.»
In der Psychiatrie habe er sich auch ein Bein gebrochen, als er gegen eine Tür trat.
Erst am Sonntag hat sie ihn besucht. «Er weinte. Mami, ich will heim.»
Immerhin: In Basel kostet das Setting «nur» 43'500 Franken pro Monat, weniger als in Zürich. Weil es dort einen hausinternen Sicherheitsdienst gibt.
*Name von der Redaktion geändert
Ein Sondersetting mutiert zur masslosen Massnahme und kostet die Staatskasse Beträge in Millionenhöhe: Kennen Sie einen ähnlichen Fall? Melden Sie sich direkt über die BLICK-WhatsApp-Nummer 079 813 8041, übers 8989-Tool, oder laden Sie sich hier den Kontakt herunter (vcf-Datei).
Ein Sondersetting mutiert zur masslosen Massnahme und kostet die Staatskasse Beträge in Millionenhöhe: Kennen Sie einen ähnlichen Fall? Melden Sie sich direkt über die BLICK-WhatsApp-Nummer 079 813 8041, übers 8989-Tool, oder laden Sie sich hier den Kontakt herunter (vcf-Datei).