Carlos: Als Kind geschlagen und vernachlässigt
Wie das Böse in seinen Kopf kam

Carlos wuchs in einem Umfeld auf, das von Gewalt und Vernachlässigung geprägt war.
Publiziert: 23.02.2014 um 00:48 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 23:28 Uhr
Carlos sitzt zurzeit eine 20-tägige Haftstrafe im Gefängnis Limmattal ab.
Foto: J.G.
Von Walter Hauser und Deborah Lacourrège

Die Bilder, welche der SonntagsBlick in seiner letzten Ausgabe veröffentlichte, schockierten die Schweiz. Sie zeigten, wie Messerstecher Carlos im Massnahmen­zentrum Uitikon (MZU) wiederholt wütete. Zerbrochenes Geschirr, demoliertes Mobiliar, eine geflutete Zelle: Die Fotos lassen bloss er­ahnen, wie viel Gewaltpotenzial in dem 18-jährigen Straftäter steckt.

Aus dem Nichts kommt diese Bereitschaft zur Gewalt nicht, wie Recherchen zeigen. Der junge Mann hatte eine schwierige, unglückliche Kindheit voller Gewalt und Vernachlässigung.

Eine intakte Familie – so etwas kannte Carlos nie. Die Mutter behielt ihren Wohnsitz in Paris, der Vater war stets in Zürich. Lebte das Ehepaar unter einem Dach, verlief das Zusammenleben alles andere als harmonisch. Laut Polizeiakten und Aussagen mehrerer Zeugen soll Carlos’ Mutter mehrmals auf ihren Mann losgegangen sein. Einmal verletzte sie ihn offenbar sogar mit einem Messer. Ob dies in An­wesenheit des kleinen Carlos geschah, ist unklar.

Bis Carlos sechs Jahre alt war, lebte er bei seiner Mutter in Paris. In jenen Jahren ist der Bub wohl nachhaltig traumatisiert worden. Seine Mutter, die in der Fashion­industrie arbeitete, sei oft unterwegs gewesen.

Statt einen Babysitter zu organisieren, soll sie Carlos tagelang in der Wohnung eingesperrt haben.

Im Jahr 2001 kam Carlos zu seinem Vater nach Zürich. Hier war er oft auf sich alleine gestellt, da sein  Papa viel arbeiten musste. Als Carlos in die erste Klasse kam, wurde bei ihm die Verhaltensstörung ADHS diagnostiziert: Solche Kinder gieren nach Aufmerksamkeit und sind hyperaktiv. Mit neun Jahren wurden dem Buben zum ersten Mal Handschellen angelegt. «Zu Unrecht», wie sein Vater sagt.

Mit elf Jahren wurde Carlos dann zum ersten Mal straffällig und fremdplatziert, im Heim oder bei Pflegefamilien. Und benahm sich jeweils so schwierig, dass keine Institution mehr bereit war, ihn aufzunehmen.

Zurzeit sitzt Carlos eine 20-tägige Haftstrafe im Gefängnis Limmattal in Dietikon ZH ab. Grund: seine Randale im Massnahmenzentrum Uitikon. Dazu liess Carlos über den «Weltwoche»-Journalisten Alex Baur auf Tele Züri ausrichten, dass «das Ganze ein bisschen dramatisiert» worden sei. Er habe hauptsächlich die Zelle unter Wasser gesetzt. Gegen Personen sei er in Haft nie gewalttätig geworden. Es habe auch keine Drohungen gegeben.

Spätestens im März ist Carlos theoretisch ein freier Mann. Dann läuft die Frist ab, die das Zürcher Obergericht als verhältnismässig empfunden hat. Carlos wollte das Urteil des Obergerichts nicht akzeptieren und zog den Fall ans Bundesgericht weiter. Dieses will seinen Entscheid morgen kommunizieren.

Wie es mit Carlos weitergehen soll, nachdem er seine Arreststrafe abgesessen hat, ist unklar. Das sagt Benjamin Tommer, Sprecher der Zürcher Justizdirektion.

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