Car-Drama im Wallis: Schulklasse aus Belgien auf Rückweg von Skilager
Löst Tunnel-Video das Rätsel des Horror-Crashs?

Die Kinder genossen das unbeschwerte Leben im Skilager. Auf der Rückfahrt knallte ihr Reisecar in eine Tunnelwand bei Siders. 22 Kinder und 6 Erwachsene sterben. Weitere 24 Schüler sind verletzt.
Publiziert: 14.03.2012 um 01:02 Uhr
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Aktualisiert: 08.10.2018 um 11:48 Uhr
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Das Wrack des Reisecars wird auf einen Transporter geladen.
Foto: Keystone

Es passiert am Dienstagabend, gegen 21.15 Uhr: Ein belgischer Reisecar rast im Wallis gegen eine Tunnelwand. 28 Menschen sterben. Darunter 22 Kinder, alle ungefähr im Alter von zwölf Jahren.

An der Pressekonferenz am Mittwoch versuchten die Behörden, erste Antworten zu liefern. Die Kinder waren angegurtet gewesen, dies spielte bei der Wucht des Aufpralls aber keine Rolle mehr. Der Chauffeur sei nicht zu schnell gefahren.

Als Unfallursache kommen in Frage: ein technischer Defekt am Car, ein medizinisches Problem oder menschliches Versagen. Eine Autopsie des Chauffeurs wurde angeordnet. Jetzt werden die Videos aus dem Tunnel ausgewertet – noch haben die Ermittler aber keine Resultate vorzuweisen. 

Eine Tragödie dieses Ausmasses habe es im Wallis noch nie gegeben, sagt der Kommandant der Walliser Kantonspolizei, Christian Varone, heute Morgen.

Ein Mädchen (12), das beim Unfall beide Beine und einen Arm gebrochen hat, konnte ihrem Vater in Belgien kurz vom Horror-Crash erzählen:

«Es war dunkel, ich spürte einen starken Stoss. Alle Sitze im Bus wurden herausgerissen und flogen um uns herum. Ich wurde nach vorne geschleudert und schliesslich zwischen zwei Sessel eingeklemmt.»

Das Mädchen telefonierte aus dem Spital nach Hause, wie «Le Soir» berichtet.

«Ich weiss nicht, ob sie tot oder lebendig waren»

Eine Walliserin ist ein paar Sekunden nach dem Unfall die erste vor Ort. Marielle, wie sie von «Le Nouvelliste» genannt wird, erzählt: «Es war noch niemand da, weder Polizei noch Feuerwehr. Ich konnte nichts tun, ich rief um Hilfe.»  Sie müsse die Bilder erst verarbeiten und frage sich immer, ob sie das Richtige getan hat. «Die Ärzte haben mir gesagt, dass ich niemanden retten konnte.»

Marielle, selbst Mutter von zwei Kindern im Alter von 8 Jahren und 20 Monaten, steht noch immer unter Schock. Der Zeitung erzählt sie: «Es waren schreckliche Bilder, wie in einem Horrorfilm. Ich sehe noch all diese Gesichter vor mir. Sie starrten mich an. Ich weiss nicht, ob sie tot oder lebendig waren.» Überall sei Blut gewesen, die Sitze völlig zerstört. Verletzte Kinder hätten versucht, sich bemerkbar zu machen. 

Randsteine touchiert

Über die Unfallursache gibt es derzeit nur folgende Erkenntnisse: Nach dem Pfynwaldkreisel fährt der Car Richtung Sitten. Nach etwa zwei Kilometern gerät das Fahrzeug auf die rechte Seite, touchiert die Randsteine und prallt frontal in eine Nothalte-Nische des Tunnels. Ergänzend heisst es bei der Polizei, der Car habe zuerst die linke Tunnelwand touchiert «Danach hat es ihn rechts auf die andere Seite gespickt, wo er frontal in die vordere Wand der Rettungsnische prallte», berichtet eine SF-Korrespondentin.

Eltern der Opfer auf dem Weg ins Wallis

Laut dem belgischen Aussenminister Didier Reynders gehörten zwei weitere Cars zum Konvoi. Diese seien aber nicht in den Unfall verwickelt gewesen und hätten ihre Fahrt fortgesetzt. Die 80 Kinder in diesen beiden Cars hätten nichts vom Unfall mitbekommen, schreibt «standaard.be», und seien unterdessen wohlbehalten in Belgien angekommen.

Die Schüler sind bis vor zwei Jahren immer mit dem Zug in die Skiferien gefahren, sagte die Schulleitung. Wieso die Reise seit zwei Jahren mit dem Car erfolgte, war vorerst nicht bekannt.

Die Angehörigen der Opfer sollen am Mittwoch um 13 Uhr vom Militärflugplatz in Melsbroek in Belgien abheben. Die zwei Militärflugzeuge können 82 Personen aufnehmen und werden die Familien nach Genf fliegen. Die Landung in Genf dürfte um zirka 14.00 Uhr erfolgen. Wie die Reise von dort weitergeht, ist noch nicht bekannt.

Schwierige Identifizierung der Opfer

Auch über zwölf Stunden nach der Katastrophe müssen die Angehörigen der Opfer in grausamer Ungewissheit ausharren. Noch immer ist die Identität aller getöteten Kinder nicht geklärt. «Wir müssen zur Abklärung DNA-Proben entnehmen», sagte ein Sprecher Walliser Kantonspolizei zu Blick.ch. Das könne noch dauern. Dieses Prozedere ist wegen der bis zur Unkenntlichkeit verstümmelten Leichen nötig.

Aus diesem Grund schickt Belgien ein spezialisiertes Team für die Opfer-Identifizierung in die Schweiz. Innenministerin Joëlle Milquetie kündigte die Entsendung der Abteilung «Disaster Victim Identification» heute Mittag an.

Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf wird im Laufe des Nachmittags an den Ort des Unglücks reisen. Dort will sie den Opfern des Unfalls Respekt erweisen und den Verletzten sowie den Behörden, die mit der Bewältigung dieses Dramas beschäftigt sind, Unterstützung anbieten.

Retter kämpften mit den Tränen

Unter den sechs getöteten Erwachsenen befinden sich vier Lehrer, aber auch die beiden Buschauffeure. Das erschwere die Klärung der Unfallursache, sagte belgische Staatssekretär für Verkehr, Melchior Wathelet. Die Busfahrer seien am Vortag im Val d'Anniviers eingetroffen, «es scheint, dass also die Vorschriften über die Ruhe- und Fahrzeit eingehalten wurden».

Betroffen zeigt sich auch der Botschafter Belgiens in der Schweiz. «Dieses Drama wird ganz Belgien erschüttern», sagt Jan Luykx. Die Opfer stammen aus den zwei flämischen Bezirken, Brabant und Limburg, neun Kinder sollen aus Holland kommen.

Der medizinische Leiter der kantonalen Walliser Rettungsorganisation (KWRO), Jean-Pierre Deslarzes, rang heute Morgen sichtlich um Worte, als er vom Einsatz berichtete. Alle Helfer seien geschockt von dem, was sie erlebt hätten, sagte er. Die Tatsache, dass Kinder betroffen seien, habe alles nur noch schwerer gemacht. Den Rettern ist am Morgen die Belastung des nächtlichen Einsatzes anzusehen, einige kämpfen mit den Tränen.

Ähnliches berichtet auch Alain Rittemer, der Einsatzleiter der Rettungskräfte in dieser schrecklichen Nacht: «Das war wirklich ein Anblick, an den man sich nicht gewöhnt ist. Ich bin schon seit 20 Jahren im Einsatz. Aber dies überstieg alles Vorstellbare», sagt er gegenüber «RTL-TVI». «Das Einzige, das uns in diesem Moment noch wichtig war, war all die weinenden Kinder zu befreien. Wir haben hinten im Bus angefangen, bei denen die am schwächsten verletzt waren.» (SDA/snx/bih)

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