Mehr als 1300 Menschen sind allein in der ersten Juli-Woche nach der illegalen Einreise im Tessin aufgegriffen worden - rund zwei Drittel von ihnen wurden direkt an der Grenze weggewiesen. Dies bekommt vor allem die italienische Grenzstadt Como zu spüren, wo die Aufnahmeeinrichtungen an ihre Kapazitätsgrenzen stossen.
Hunderte Flüchtlinge in den letzten Tagen
Como im Juli. In der verwinkelten Altstadt ist es noch kühl, Touristen schlendern durch die Gassen und schlecken das wohl erste Glacé des Tages, die Restaurants am Seeufer decken ihre Mittagstische ein.
Für einen Moment scheint auch Roberto Bernasconi diese Morgenruhe auszustrahlen - sobald der Diakon und Direktor der Caritas jedoch von der Flüchtlingssituation in seiner Stadt zu sprechen beginnt, beschleunigen sich seine Gesten, verschärft sich der Ton.
Hunderte Flüchtlinge seien in diesen Tagen in und um den Bahnhof in Como gestrandet - entweder, weil sie zuvor an der Schweizer Grenze weggewiesen wurden oder, weil sie noch ihr Glück versuchen wollen, in den Norden Europas vorzustossen. Verzweifelte Migranten seien ausserdem von der Polizei im Eisenbahntunnel gesichtet worden, der Como mit Chiasso im Südtessin verbindet. Ein lebensgefährliches Unterfangen, wie Bernasconi kopfschüttelnd sagt.
Bald Zustände wie in Ventimiglia
Wenn die Schweiz in den kommenden Wochen und Monaten weiter in grossem Mass Flüchtlinge zurückweise, könnten in Como bald Zustände herrschen wie in an der französisch-italienischen Grenze im italienischen Ventimiglia, warnt der Caritas-Direktor.
Trotzdem möchte der Verantwortliche für die Flüchtlingsbetreuung in der Diözese Como nicht von einer «Notsituation» sprechen, sondern von einer «angespannten Lage», die seit drei bis vier Jahren zur Normalität gehöre.
Bootsflüchtlinge aus dem Süden Italiens werden laut Bernasconi nach einer ersten Registrierung in den einzelnen Regionen des Landes verteilt. Konkret heisst das: Von 100 Ankömmlingen in der Lombardei werden sieben weiter nach Como geschickt.
In der gesamten Diözese Como betreut die Caritas derzeit ungefähr 2000 Menschen, die sich in einem Asylverfahren befinden. Bis in ihren Fällen ein definitiver Entscheid gefällt werden könne, dauere es häufig «zwei bis zweieinhalb Jahre», so Bernasconi.
Im Auffangzentrum unweit der Altstadt von Como bekommen derzeit 300 Flüchtlinge einen Schlafplatz und warme Mahlzeiten - der grösste Teil von ihnen stammt aus Ländern wie Mali, Nigeria und der Elfenbeinküste. Bernasconi nennt sie fürsorglich «nostri ragazzi», unsere Jungs.
Schlechtere Schulbildung als Syrer
Die tägliche Herausforderung sei es, den meist jugendlichen Flüchtlingen eine sinnvolle Tätigkeit bieten zu können. Dies scheitere aber häufig an den Fähigkeiten, welche die Menschen mitbrächten.
Im Gegensatz zur ersten Welle von Flüchtlingen, die vor dem Krieg in Syrien flohen, verfügten die in Como vorläufig aufgenommenen Menschen nur über eine sehr schlechte Schulbildung, so Bernasconi. Entweder, weil sie sich über Jahre auf der Flucht befanden oder, weil sie bereits in ihrer Heimat einer bildungsfernen Schicht angehört hätten. Dies erschwere die Vermittlung in Arbeits- und Sprachprogrammen sehr.
Diese Eingliederung sei aber bitter nötig. Ansonsten bestehe die grosse Gefahr, dass die Migranten dauerhaft in Netzwerke der Mafia oder der Prostitution abrutschten, so der Caritas-Direktor. (SDA)