Früher Bühnentänzerin mit Punkfrisur, heute ein studierendes «Kopftuchmädchen», wie ihr Vater sie nennt. Janina Sorger (23) aus Zürich hat ihren Lebensinhalt neu definiert – und damit ihren Alltag.
Während einer verletzungsbedingten Pause befasst sich die Profiballetttänzerin mit dem Koran. Mit Konsequenzen: Sie gibt ihren Beruf auf und beginnt ein Studium der Islamwissenschaften. Vor rund einem Jahr ist sie von der reformierten Kirche zum Islam übergetreten.
«In meinem Umfeld gab es keine praktizierenden Muslime», sagt Janina Sorger, «das war ein persönlicher Prozess. Ich bin für mich selber konvertiert.»
Politisch hatte sie sich schon länger mit der arabischen Welt befasst, Bücher gelesen und im Sommer letzten Jahres eine Studienreise nach Israel und Palästina unternommen. «Das Alltagsleben dort war nicht so, wie ich es vom Hörensagen oder vom Islam in Europa kannte», erzählt Sorger. «Ich lernte starke Frauen kennen, die einem Beruf nachgingen. Die Menschen behandelten sich respektvoll. Das hat mich sehr beeindruckt.» Immer mehr wird der Christin bewusst, dass der Islam viele ihrer persönlichen Glaubens-, Gesellschafts- und Moralvorstellungen spiegelt. «Der Koran gab mir Antworten, die ich in der Bibel so nicht fand», sagt sie. «Ich störte mich auch an der Vorstellung, dass Gott seinen Sohn auf die Erde schickt, um ihn dann zu töten.»
Janina entschied sich für Allah. Sie trägt Kopftuch, langärmlige weite Pullis und Röcke. «Manche haben Mühe, sich vorzustellen, dass auch Muslimas shoppen gehen.» Einziger Unterschied zu früher: «Man kauft Pullis oder Shirts nicht mehr in S, sondern in L oder XL, weil es sonst zu stark abzeichnet.»
Der Kleiderwandel vollzog sich nicht über Nacht: «Zunächst habe ich mich nicht in die Öffentlichkeit getraut. Es braucht Selbstbewusstsein, sich den Reaktionen auszusetzen», sagt sie. «Eigentlich wollte ich von Anfang an ein Kopftuch tragen, weil es für mich auch ein Dienst an Gott ist. Aber ich fing damit an, immer Mütze und Schal anzuziehen.»
Janinas Eltern wohnen in Deutschland. Dass sie zum Islam konvertierte, löste heftige Reaktionen aus – und stundenlange Telefongespräche.
«Es gab viele Vorurteile. Ich musste mir Zeit nehmen, Antworten liefern. Mein Vater hatte eine riesige Telefonrechnung – daran erinnert er mich heute noch.»
Das erste Mal mit Kopftuch nach Hause zu gehen, war kein einfacher Schritt: «Mein Vater hat mich ausgelacht, meine Mutter hat gesagt: ‹Scheisse.› Wir haben dann in Ruhe darüber gesprochen, sie hatten erst grosse Angst, mich zu verlieren. Jetzt ist es entspannter geworden.»
Nicht nur in der Kleidung, auch sonst macht sich die praktische Umsetzung ihres Glaubens bemerkbar. Männern reicht sie zur Begrüssung die Hand nicht mehr, im Studium ist Kontakt mit Männern kein Problem, männliche Kollegen hat sie aber keine mehr.
Dafür einen muslimischen Mann, Janina ist mittlerweile verheiratet. «Viele denken, die Männer im Islam zwingen die Frauen zum Kopftuch. Das ist bei mir nicht der Fall, ich trage keine Zwangsjacke. Das Kopftuch habe ich aus Liebe zu meiner Religion.»
Fünfmal am Tag nimmt sie sich Zeit zum Beten – egal, wo sie gerade ist. «Am Anfang hatte ich Hemmungen, das in der Öffentlichkeit zu tun, man möchte schliesslich niemanden provozieren. Dann habe ich gelesen: Wem möchtest du gefallen? Allah oder den Menschen? Da war es für mich klar.» Damit sie auf einer sauberen, reinen Unterlage beten kann, hat sie immer einen Gebetsteppich dabei. Dunkelblau mit eingenähtem Kompass.
Inzwischen hat sie auch viele Kontakte zu anderen Strenggläubigen und geht in die Mosche, wo sie lernt, den Koran in Arabisch zu lesen und zu verstehen. «Ich bin geduldiger und ruhiger geworden», sagt sie, «früher hatte ich den Drang, immer noch mehr zu erreichen. Ich habe gelernt, mir selbst zu genügen. Jetzt bin ich im Moment glücklich. Dank Allah.»