Sie pfeifen, trommeln, trompeten, recken Plakate in die Höhe: «Keine Gewalt gegen Frauen», «Unsere Gedanken sind bei den Opfern dieser Nacht». Gellend laut ist der Protest von mehreren Hundert Frauen gestern Mittag in Köln. Sie sind gekommen, den Domplatz zurückzuerobern. Den Ort, wo andere Frauen in der Silvesternacht Opfer einer beispiellosen Serie von Übergriffen wurden.
Noch immer, eine Woche nach den Vorfällen, ist die Polizei dabei, Fakten zu sammeln. 379 Anzeigen sind eingegangen, rund 40 Prozent beziehen sich auf sexuelle Übergriffe. Mehr als 350 Stunden Videomaterial sichten die Beamten. Sie wollen wissen: Wer sind die Sex-Grüsel, die Frauen eingekesselt und begrapscht haben? Die «Bild»-Zeitung hat einen kleinen, gelben Zettel veröffentlicht, den die Polizei angeblich bei zwei Tatverdächtigen gefunden hat. Darauf zu lesen sind Satzbrocken auf Arabisch und Deutsch, zum Beispiel: «Ich will facken grosse Brüste» oder «Ich töte dich».
Die Ermittlungen von Köln richten sich nach Angaben der Polizei mehrheitlich auf Personen aus nordafrikanischen Ländern. Grösstenteils handle es sich um Asylsuchende und Personen, die sich illegal in Deutschland aufhielten. Sind sie verantwortlich für die sexuellen Übergriffe? Darauf hat Deutschland noch keine Antworten.
Sicher ist: Die Nacht auf den 1. Januar ist ein Wendepunkt in der Debatte über Asyl und «Willkommenskultur». Männer, die sich zusammenrotten und Jagd auf Frauen machen: das kannte man vom Tahrir-Platz in Ägyptens Hauptstadt Kairo, nicht aus Europa. Bis jetzt. Konfliktmanagerin Sefika Garibovic (56) warnt: «Was wir in Köln gesehen haben, ist erst der Anfang.»
Auch in Bern, Schaffhausen und Zürich gab es in der Silvesternacht Übergriffe. Die Stadtpolizei Zürich registrierte nach Angaben von Sprecher Marco Cortesi (60) «rund ein halbes Dutzend ähnlicher Fälle wie in Deutschland». Auch bei der Kantonspolizei gingen drei Anzeigen ein, die das Stadtgebiet betreffen.
«Wir waren naiv», sagt Garibovic. Im Auftrag von Jugendanwaltschaften sowie Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (Kesb) arbeitet die studierte Sexualtherapeutin und Forensikerin mit straffälligen Jugendlichen. Derzeit therapiert sie drei junge Asylbewerber, die unabhängig voneinander Mädchen massiv sexuell belästigten, mal auf dem Schulhof, mal im Ausgang.
«Wir haben in den letzten Jahren Tausende junger Männer aus dem arabischen Raum als Asylbewerber bei uns aufgenommen», sagt Garibovic. «Sie kommen aus einem völlig anderen Kulturkreis – und wir dachten, wir könnten sie einfach so integrieren.»
Bei ihrer Arbeit stellt sie immer wieder fest: «Sie kennen unsere Rituale nicht, sie wissen nicht, wie es ist, sich zu verlieben, zu flirten oder zu leiden, wenn die Liebe nicht erwidert wird.» Statt dessen seien sie überzeugt, dass die Mädchen ihnen «zustehen»: «Sie nehmen sich, was sie wollen, notfalls mit Gewalt.»
Einer, der das getan hat, ist ein 14-Jähriger aus dem arabischen Raum. Über längere Zeit stellte er in einer Zürcher Gemeinde einem Mädchen nach, belästigte es. «Die Schule spielte die Vorfälle herunter», sagt Garibovic. «Mit Schulsozialarbeit und Psychologen löst man dieses Phänomen nicht.» Erst als der junge Mann das Mädchen fast vergewaltigte und die Eltern zur Polizei gingen, reagierten die Verantwortlichen.
Ähnliche Vorfälle beobachtet sie überall in der Schweiz, in den grossen Städten, aber auch in Solothurn oder dem Aargau. «Es passiert im Ausgang und auf Schulhöfen», sagt Garibovic. «Aber die Öffentlichkeit erfährt nie davon, weil vieles vertuscht wird.»
Das dürfe nicht länger geschehen. «Wir müssen der Wahrheit ins Gesicht sehen und schauen, dass wir diese Männer integrieren können.» Dies gelinge aber nur, wenn man das Problem offen anspreche.
Der Strafrechtler Martin Killias (67) sieht es ähnlich: «Für einzelne Männer aus diesem kulturellen Umfeld verdienen viele unserer Frauen keinen Respekt», sagt er. Es sei denkbar, dass daraus ein sexueller Kulturkonflikt entstehe. «Im Kleinen gibt es den in vielen Ländern Europas seit langem.» Um die Integration zu fördern, solle man auf «kluge Stimmen von Feministinnen» hören, so Killias, «nicht auf die Verteidiger archaischer Traditionen».
In Fällen häuslicher Gewalt haben die Behörden das Problem bereits erkannt. Das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Mann und Frau befasst sich damit in einem Bericht: «In der Schweiz registrieren polizeiliche Interven-tionsstatistiken überproportional häufige Interventionen in Fällen von häuslicher Gewalt bei Ausländerinnen und Ausländern, dies sowohl auf der Opferseite wie auch auf Seite der Tatpersonen», heisst es. Die Migrierenden seien mit neuen Anforderungen und Rollenbildern konfrontiert. «Unter ungünstigen Bedingungen können Stress, Frustration, Verunsicherung, soziale Isolation etc. entstehen, welche Gewalt begünstigen.»
Therapeutin Garibovic: «Es braucht dringend Spezialisten, die sich mit fremden Kulturen gut auskennen und Sexualmediziner, die mit den Männern arbeiten.» Man müsse ihnen den Tarif durchgeben und unmissverständlich die Umgangsformen in Europa beibringen. «Sie müssen lernen, mit ihrer Sexualität umzugehen und sie müssen lernen, wie man hier Frauen begegnet.»
Der 14-Jährige, den Garibovic betreue, sei nun auf einem guten Weg. «Wir müssen von denen, die hierherkommen, mehr fordern. Wir müssen aufwachen – damit es nicht noch schlimmer wird.»
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