Tragödie von Flaach ZH
Sie sah nur den Tod als Ausweg

Natalie K. (27) tötete Alessia († 2) und Nicolas († 5) und wollte sich selbst das Leben nehmen.
Publiziert: 03.01.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 21:15 Uhr
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Neujahr, 21.26 Uhr: Natalie K. antwortet ihrem Vater zum letzten Mal.
Foto: Blick
Von Deborah Lacourrège, Cyrill Pinto, Beat Michel und Michael Spillmann

Das letzte SMS schickt Natalie K.* (27) ihrem Vater. Um 21.26 Uhr schreibt sie: «Es ist zu spät, die Kinder sind im Himmel, und ich gehe jetzt auch.» Vier Minuten später ruft sie die Polizei an, meldet den Tod ihrer Kinder. Dann geht Natalie K. aus dem Haus, in der Hand ein Messer. In der eiskalten Nacht versucht die Mutter, sich zu töten. Die Polizei kann sie stoppen. Für Alessia († 2) und Nicolas († 5) kommt jede Hilfe zu spät.

Die Tragödie von Flaach ZH: Eine Mutter, die um ihre Kinder kämpft und am Schluss nur einen Ausweg sieht – den Tod. Ihren und den ihrer zwei Kinder.

Ehemann auf Abwegen

Es ist der 31. Oktober, als die Behörden beschliessen, dem Ehepaar K. die Kinder wegzunehmen. Seit fünf Jahren sind Natalie und Mike K.* (28) verheiratet. «Sie führten eigentlich eine glückliche Ehe», sagen Björn (49) und Christine K.* (50), die Eltern von Natalie. «Sie waren wahnsinnig glücklich, als die Kinder zur Welt kamen.»

Während sich die gelernte Pflegeassistentin Natalie K. um die Kinder kümmert, dreht ihr Ehemann, ein arbeitsloser Detailhandelsangestellter, offenbar krumme Dinger. Mikes Schwiegereltern fällt auf, dass die beiden «viel Geld» haben. «Sie hatten ständig neue Handys und schauten Häuser an, die mehrere Millionen kosten.» Mike K. erzählt, er habe geerbt. «Natalie glaubte ihm, wir nicht», sagt Björn K.

Kesb entscheidet

Tatsächlich hat die Polizei Mike K. auf dem Radar. Sie plant eine Razzia.

Darum wird die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde von Winterthur-Andelfingen ZH eingeschaltet. Ende Oktober ernennt die Kesb per superprovisorischer vorsorglicher Massnahme eine Beistandschaft für Alessia und Nicolas und hebt das elterliche Aufenthaltsbestimmungsrecht auf. Die Kinder sollen nach der geplanten Intervention in ein Heim in Zürich.

Die Razzia

Am 4. November stürmt die Polizei die Wohnung. Das Ehepaar wird wegen Verdachts auf Vermögensdelikte verhaftet. «Mike rief uns an», sagen die Schwiegereltern. «Die Polizei sei da, wir sollten die Kinder abholen.»  Als die Grosseltern in Flaach eintreffen, ist die Kesb schon dort – und verweigert ihnen die Enkel. Dafür brauche es weitere Abklärungen. Nicolas und Alessia kommen ins Heim.

Hoffen der Mutter

Am 13. November kommt Natalie K. frei. Die Polizei glaubt ihr, dass sie nichts mit den Betrügereien ihres Mannes zu tun hat.

«Sie stand vor dem Nichts», sagen ihre Eltern. «Ihre Wohnung war gekündigt, die Konten gesperrt.» Die Kinder darf sie nur ab und zu im Heim besuchen. Es folgen Treffen mit der Kesb. Natalie K. und ihre Eltern kämpfen. Alessia und Nicolas sollen nach Hause zurückkehren. «Die Kesb versprach, wenn sie eine neue Wohnung habe, könne sie die Kinder zu sich nehmen», sagen die Eltern.

Trotz Geldproblemen darf Natalie K. in der Wohnung bleiben. Die Gemeinde Flaach unterstützt sie laut Gemeindepräsident Walter Staub (47) mit Nothilfe.

Die Eltern sehen, wie sich ihre Tochter um das Zuhause bemüht: «Sie strich die Wände, hängte Bilder auf. Sie wollte, dass alles perfekt ist, wenn die Kesb zur Wohnungsprüfung kommt.» Offenbar mit Erfolg. «Es hiess, die Wohnung sei gut, die Kinder dürften am 19. Dezember zu ihrem Mami zurück», sagt Grossvater Björn K. Die Kinder freuen sich – und werden enttäuscht.

Die Kehrtwende

Per Entscheid vom 19. Dezember beruft sich die Kesb indes wieder auf ihren Entscheid vom 31. Oktober, also Heimaufenthalt für die Kinder. Die Mutter erhält aber «zur Beruhigung der Situation» über die Festtage ein «grosszügiges Besuchsrecht». Sie darf die Kinder vom 19. Dezember bis am 4. Januar bei sich haben.

Das genügt ihr nicht. Natalie K. nimmt sich eine Anwältin und reicht am 24. Dezember Beschwerde beim Bezirksrat Winterthur ein. Am 28. Dezember schickt die verzweifelte Mutter E-Mails an verschiedene Medien, auch an BLICK. «Ich sehe nicht ein, weshalb meine Kinder wieder ins Heim müssen für Monate, eventuell Jahre. Keiner unschuldigen Mutter sollten die Kinder weggenommen werden.»

An Silvester entscheidet der Bezirksrat: Die Beschwerde hat keine superprovisorische Wirkung. Sie wird erst im neuen Jahr behandelt. Die Kinder müssen zurück ins Heim.

Die Verzweiflung

Am Neujahrstag besprechen Christine und Björn K. in Flaach mit ihrer Tochter beim Zvieri das weitere Vorgehen: «Für uns war klar, dass die Kinder nicht zurück ins Heim gehen. Wir haben abgesprochen, dass Natalie mit ihnen untertaucht.»

Am Abend tötet die verzweifelte Mutter ihre Kinder. Wie, das wird die Autopsie zeigen.

Nachdem sie das SMS ihrer Tochter gelesen haben, rasen die Grosseltern nach Flaach. Die Polizei ist schon dort. «Wir rannten nach oben, sahen die Kinder am Boden liegen. Sie sahen aus, als ob sie schlafen.»

Währenddessen versucht Natalie K. im nahen Wald sich die Kehle aufzuschlitzen. Die Polizei findet sie, kann die blutüberströmte Frau überwältigen.

Sie liegt im Spital, bewacht von Polizisten. «Wir wissen nicht, wie es ihr geht», sagen ihre Eltern. Als Mike K. im Gefängnis vom Tod seiner Kinder erfährt, bricht er zusammen. Er wird in eine psychiatrische Anstalt verlegt.

Gestern konnte die Kesb Winterthur-Andelfingen gegenüber BLICK keine Stellungnahme zum Fall abgeben.

* Namen der Redaktion bekannt

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