Schweizer Grenzwacht wehrt sich gegen Vorwürfe aus Italien
«Wir stellen keine Flüchtlinge an die Grenze»

Im Interview erklärt Patrick Benz (42), Chef des Fachbereichs Migration, wie sich die Schweiz auf einen neuen Flüchtlingsansturm vorbereitet.
Publiziert: 21.03.2017 um 14:57 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 17:45 Uhr
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Patrick Benz, Chef des Fachbereichs Migration des Grenzwachtkorps.
Foto: Thomas Lüthi / HEG
Interview: Myrte Müller

BLICK:In Rom suchen europäische Innenminister nach Wegen, den Flüchtlingsstrom aus Afrika zu bremsen. Noch immer fliehen Tausende übers Mittelmeer nach Italien. Wie ist die aktuelle Situation an der Tessiner Grenze?Patrick Benz: Wir hatten 1530 Aufgriffe im Januar und 1379 im Februar. Auch wenn sich die Zahl zum Vorjahreszeitraum gut verdreifacht hat, so ist die Lage viel ruhiger als im Sommer. Das liegt natürlich auch an der kalten Jahreszeit.

Die Ruhe vor dem Sturm?
Wir rechnen mit einem ähnlichen Migrationsdruck wie im vergangenen Jahr. Da wurden 48’838 rechtswidrige Aufenthalte schweizweit registriert, davon 33’844 allein im Süden.

Wer versucht zur Zeit illegal ins Tessin einzureisen?
Waren es im Sommer noch viele Eritreer, so sind es jetzt Menschen aus Gambia, Guinea, Nigeria und von der Elfenbeinküste. Die meisten sind junge Männer. Die Zahl der Minderjährigen ist zurückgegangen.

Warum kommen jetzt so viele aus Westafrika?
Das liegt an den jüngsten Anlandungen in Italien, Boote mit überwiegend Flüchtlingen aus Westafrika. Sie brauchen in etwa ein bis drei Wochen, um von Süditalien an unsere Grenze zu gelangen. 

In den vergangenen drei Wochen gerieten zwei Afrikaner beim Versuch, auf dem Dach eines Zugs ins Tessin einzureisen, in Brand. Einer starb vor Ort, ein anderer wurde lebensgefährlich verletzt. Werden die Fluchtwege immer riskanter?
Dies sind tragische Einzelfälle. 90 Prozent der illegalen Immigranten versuchen als Zugpassagiere einzureisen. Es gibt auch vereinzelt Flüchtlinge, die sich in Güterzügen verstecken. Das passiert meist im Raum Brig VS. 

Was wird das Grenzwachtkorps unternehmen, um solche tragischen Zwischenfälle zu verhindern?
Für die Sicherheit im Bahnverkehr ist nicht das Grenzwachtkorps, sondern die Bahnbetriebe zuständig.

Wohin wollen die Flüchtlinge?
Nur sehr wenige wollen Asyl in der Schweiz. Die meisten möchten transitieren, es nach Nordeuropa schaffen.

Kommt es zu Spannungen, wenn Flüchtlinge abgewiesen werden?
Nein, Widerstand ist sehr selten. Meist sind die Immigranten sehr kooperativ und folgen unseren Anweisungen. 

Der Bürgermeister von Como und auch Flüchtlingshelfer kritisieren, dass die Tessiner Grenzwacht abgewiesene Flüchtlinge nachts an die italienische Grenze stellen würden. Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen?
Diese Aussagen sind falsch. Wir stellen nie abgewiesene Flüchtlinge an die Grenze, sondern übergeben sie immer unseren Kollegen auf der italienischen Seite. Am Abend werden die illegalen Immigranten in einem Zwischenzentrum in Rancate untergebracht, wo sie übernachten. Sie können duschen und werden verpflegt. 

Wie ist die Zusammenarbeit mit den Nachbarn?
Mit Deutschland arbeiten wir sehr eng zusammen. Wir führen sogar gemeinsame Streifen durch und haben eine gemeinsame Dienststelle. Auch mit Italien ist die Kooperation seit letztem Jahr sehr viel besser geworden. 

Welche Rolle spielen Schlepper?
Wir haben in den vergangenen drei Monaten an die 100 Schlepper festgenommen, zwei Drittel davon kamen ins Tessin. Die meisten bieten Autopassagen über die Grenze an. Natürlich nur gegen Bares. Daher ist es eine unserer Prioritäten, den Schleppern das Handwerk zu legen. 

Die Spannungen zwischen der EU und der Türkei steigen. Im schlimmsten Fall könnte der türkische Flüchtlingsdeal platzen. Wäre die Schweizer Grenzwacht auf neue Flüchtlingsströme und neue Routen vorbereitet?
Zu politischen Situationen kann ich nichts sagen. Nur so viel: Wir sind mit Eventual- und Notfall-Planungen auch auf solche Szenarien soweit als möglich vorbereitet.

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