Herr Levrat: Was sind Sie? Freiburger, Schweizer oder Europäer?
Christian Levrat: Greyerzer.
Warum?
Die Region hat eine starke Identität, geprägt von der Auseinandersetzung zwischen den Freisinnigen und den Konservativen. Dort bin ich aufgewachsen und lebe ich noch immer.
Sie sind Lokalpatriot.
Ich bin stark verankert.
Verständlich, Sie haben schliesslich fünf Freiburger Heimatorte! Wie kommt das?
Keine Ahnung (lacht). Ich habe aber Glück, denn meine Heimatorte fusionieren untereinander. Anfangs hatte ich sieben.
Wie tickt der Greyerzer?
Wir sind autonom und ehrgeizig. Wir sprechen die Sachen offen an. Ein gewisser Widerstandsgeist gehört dazu. Greyerzer haben aber auch keine Scheuklappen.
Sie stehen den lokalen Bauern näher, als Ihrer Partei wohl lieb ist.
Ich bin den Bauern nahe, kenne ihre Realität. Ich habe einige Freunde, die Bauern sind. Als Freiburger Ständerat gehört es zu meinen Aufgaben, für die Landwirtschaft zu schauen.
Sie sind zurückhaltend beim Thema EU-Beitritt. Hat das mit Ihrer Herkunft zu tun?
Ich bin nicht zurückhaltend. Die Beitrittsfrage stellt sich zurzeit einfach nicht. Die relevanten Fragen sind: Wie retten wir die bilateralen Verträge, wie vertiefen wir die Beziehungen mit der EU? Falls der bilaterale Weg aber scheitert, müssen wir mit der Bevölkerung eine ernsthafte Diskussion über den EU-Beitritt führen. Die Schweiz ist keine Insel. Jene, die uns in die Abschottung drängen wollen, leisten uns keinen guten Dienst.
Was wären die Folgen eines EU-Beitritts?
Die Frage stellt sich anders. Kann sich die Schweiz eine Isolierung in Europa leisten? Ohne Bilaterale ist die Schweiz isoliert. Wir würden massiv benachteiligt bei der wirtschaftlichen Entwicklung. In persönlichen Kontakten mit Nachbarländern wären wir zurückgeworfen in Zeiten schikanöser Verhältnisse. Forscher und Studierende wären von der europäischen Zusammenarbeit ausgeschlossen. Nicht der EU-Beitritt, sondern die Abschottung der Schweiz ist das Horrorszenario.
Wie würden Sie der Bevölkerung erklären, dass man bei einem Beitritt die Mehrwertsteuer massiv erhöhen und die Währung aufgeben müsste? Das alles kostet Arbeitsplätze.
Die Schweiz hat heute mit den Bilateralen eine gute Lösung. Das Problem ist: Die Auslöser dieses bilateralen Wegs, jene welche den EWR ablehnten, haben nun die Seiten gewechselt. Die SVP versucht uns in eine Isolation zu zwingen. Das ist Selbstmord.
Die SVP hat uns die Bilateralen quasi aufgezwungen.
Nach dem EWR-Nein hatten wir zehn Jahre Rezession. Den Ausweg fanden wir erst, als die Schweiz die bilateralen Verträge abschliessen konnte. Dass gerade jene, welche den ganzen Prozess erzwungen haben, nun den bilateralen Weg torpedieren, ist nackte nationalkonservative Ideologie. Es geht im Herbst um eine Richtungswahl zwischen der Schweiz der Abschottung und der Schweiz der Öffnung, des Dialogs mit den Nachbarn. Die SVP hat sich radikalisiert, auch mit der Forderung der Kündigung der Menschenrechtskonvention. Die SVP ist eine Gefahr für die Schweiz. Und die SP ist die einzige glaubwürdige Alternative, wenn es darum geht, ein anderes Bild der Schweiz zu verteidigen.
Aber ein Jahr nach der Abstimmung zur Masseneinwanderungs-Initiative kommt der Rest der Politlandschaft unter der Führung Ihrer Bundesrätin Simonetta Sommaruga daher wie ein chaotischer Hühnerhaufen.
Der Bundesrat hat jetzt einen sehr vernünftigen Weg aufgezeichnet: Wir verhandeln mit Brüssel und schauen, was rauskommt. Sicher ist aber, dass es mit der EU keinen Inländervorrang und keine Kontingente geben wird. Und eine Kündigung der Bilateralen ist keine Option. So wird das Parlament ein Ausführungsgesetz verabschieden, das Kontingente in erster Linie auf Drittstaaten anwendet. Für EU-Bürger gilt weiter die vielleicht etwas angepasste Personenfreizügigkeit.
Dann kommt die SVP einfach mit einer weiteren Initiative.
Es gibt wohl ein Referendum von rechts. Dann werden sich die FDP und Philipp Müller zwischen Christoph Blocher und den Bilateralen entscheiden müssen. Sie sind derzeit orientierungslos. Ich weiss Wochen nach der Präsentation des Bundesrats noch immer nicht, was CVP und FDP davon halten. Im besten Fall schweigen sie. Im schlimmeren Fall widersprechen sie sich von Interview zu Interview.
Alle sind sich einig, dass die SVP die Schweiz abschottet, aber die Rest-Parteien streiten sich trotzdem.
Die SP ist der einzig glaubwürdige Gegenpol zur SVP. Was die Schweiz braucht, sind innenpolitische Reformen. Es braucht einen stärkeren Lohnschutz, mehr Aus- und Weiterbildung sowie Investition beim gemeinnützigen Wohnungsbau. Ältere Arbeitnehmende müssen vor Kündigungen besser geschützt werden. Das soll Vertrauen schaffen, damit wir die erneute Abstimmung gewinnen werden.
Sie müssten auf einem Plakat mit fetten Lettern aufzeigen, wie die SVP die Schweiz kaputt macht. Das ist hundertmal eingängiger, als wenn Sie von sozialem Wohnungsbau schreiben. Sie sind zu wenig populistisch.
Das höre ich gerne. In der Regel wird mir das Gegenteil vorgeworfen. Unsere Botschaft ist aber schon seit Jahren: Die SVP verrät die Schweiz. Die Parteien in der Mitte sind nicht hörbar, haben kein Konzept, bringen es nicht fertig, in grossen Fragen Position zu beziehen. Wir sind die einzige grosse Partei, welche die SVP wirksam bekämpft.
Und jetzt nimmt Ihnen die SVP auch noch die Schweizer Mythen weg. Sie besetzt Bilder von 1291 über Morgarten bis zum Reduit. Die SP hat die Schweizer Mythen nie bespielt.
Wir lassen lieber Fakten statt Mythen sprechen. Darum haben wir letztes Jahr zum 125-Jahr-Jubiläum ein dickes Buch zur Geschichte der roten Schweiz publiziert. Wir sind die einzige Partei, welche ihren Namen nie ändern musste. Wir haben vom Generalstreik 1918 her die soziale Schweiz erfunden, auf- und weitergebaut. Wir sind diesem Erbe nach wie vor treu. Und wir sind heute leider die Einzigen, welche die Schweiz von 1848, die Schweiz der Freiheit, verteidigen.
Gegründet hat sie aber damals der Freisinn.
Ja. Nur steht er heute nicht mehr dazu. Der Schweiz des «Ancien Regime 1291» von Blocher, der Schweiz der Untertanen, müssen wir die moderne Schweiz entgegenstellen.
Was vor 1848 war, ist für die SP also irrelevant?
Ich glaube, dass der 1848 erkämpfte Rechtsstaat, die Demokratie und die Freiheitsrechte heute viel bedeutsamer sind, als all die Mythen, die man versucht wachzurütteln. Aber wenn die Bürgerlichen mit Marignano eine Niederlage im Ausland feiern wollen, dann dürfen sie ruhig.
Sie feiern die Neutralität, nicht die Niederlage.
Die Neutralität wurde 1815 am Wiener Kongress den Schweizern vom Ausland aufgezwungen. Nach Marignano 1515 folgten noch 200 Jahre intensive Zusammenarbeit mit Frankreich. Unsere Kantone lieferten Frankreich Soldaten für irgendwelche Kriege rund um Europa.
Was bedeutet denn Wilhelm Tell für die Sozialdemokratie? Das war ein freiheitsliebender Mensch.
Unsere heutige Freiheit haben unsere Vorgänger mit der liberalen Revolution im 19. Jahrhundert erkämpft. Danach haben die Sozialdemokraten zusammen mit den Freisinnigen die soziale Schweiz gebaut. Das sind die zentralen Meilensteine der Schweizer Geschichte. Ich bedauere, dass der Freisinn heute nicht in der Lage ist, zu seiner Geschichte zu stehen.
Das haben Sie jetzt ein paar Mal gesagt. Wo zeigt sich das denn?
Das zeigt sich, wenn die FDP laut daran denkt, mit jener SVP Listenverbindungen einzugehen, welche die Menschenrechtskonvention in Frage stellt. Das Erbe der FDP wäre eine Schweiz, welche sich optimistisch der Moderne stellt und die Grundrechte stärkt. Es sollte eine klare Distanz zur SVP geben. Die FDP sollte in diesem Kulturkampf mit uns Position beziehen und die SVP an den rechten Rand zurückdrängen.
Reden Sie mit FDP-Chef Philipp Müller darüber?
Wenig. Die Geschichte scheint ihn nicht zu interessieren.
Sind Sie aus Enttäuschung über die FDP derzeit so kritisch mit Johann Schneider-Ammann?
Grund für die Kritik ist seine Wirtschaftspolitik. Er agiert sehr rechtsliberal.
Was meinen Sie jetzt damit?
Er tut nichts.
Nichts tun ist rechtsliberal?
Im wirtschaftspolitischen Sinn ja: «Der Markt wird es richten», ist die Doktrin der Neoliberalen.
Aber es war die SP, welche Johann Schneider-Ammann in den Bundesrat gewählt hat.
Wir haben damals gesagt, dass wir einen der beiden offiziellen FDP-Kandidaten wählen würden. Ich bin aber enttäuscht ob seiner Passivität. Er ist zwar hyperaktiv, wenn es darum geht Pressekonferenzen zu machen. Er macht aber nur viel Lärm, Taten folgen nicht.
Sie fordern einen neuen Mindestkurs für den Franken. Aber das wäre doch nur eine Marktverzerrung und keine Grundlage für eine Volkswirtschaft.
Von welchem Markt sprechen Sie? Bei der realen Wirtschaft ist die Kaufkraftparität zum Euro bei rund 1.30. Der Markt bildet nicht die Realität ab, sondern der Franken ist wegen der Spekulation derart stark.
Welchen Mindestkurs fordern Sie?
1.15 Franken pro Euro scheint mir kurzfristig vernünftig. Zudem braucht es Investitionen und mehr Unterstützung von Forschung und Innovation.
Wollen Sie gleich ein Konjunkturprogramm?
Man kann es nennen, wie man will. Die Hälfte der rund 100 exportorientierten Firmen in meinem Kanton ist in Schwierigkeiten. Diese brauchen wichtige Investitionen, um fit zu werden. Es wäre besser, bei solchen Unternehmen langfristig Arbeitsplätze zu retten, statt mit Kurzarbeits-Beiträgen ihren Konkurs zu bezahlen. Staatshilfen im Bereich Innovation sind in umliegenden Ländern gang und gäbe. Wir aber tun zu viel, um neue Unternehmen anzusiedeln – gerade im Steuerbereich – und zu wenig, um jene zu unterstützen, die schon hier sind und sich weiterentwickeln sollten.
Unser Vorschlag: Man verbietet die Gewinnausschüttung der Nationalbank an die Kantone. Und aus diesen Geldern macht man einen Strukturfonds für jene Probleme, die Sie angesprochen haben.
Genau das fordern wir nun in den Kantonen. Wir verlangen, dass die nicht budgetierten Gelder der Nationalbank in solche Fonds für Innovation und Bildung fliessen. Aber in den meisten Kantonen gibt es Blockaden. Gerade die Wirtschaftsverbände sprechen nicht für die betroffenen Unternehmen. Das Evangelium des Arbeitgeberverbandes – die Steuersenkungen – helfen aber den Krisenfirmen nichts.
Sie sind seit 2008 SP-Präsident. Nun brauchen Sie endlich mal einen richtigen Wahlerfolg. Die Grünen schwächeln. Wo wollen Sie bei den Wahlen landen?
Wir sagten mal: 20 Prozent.
Das ist zu wenig ehrgeizig.
Finde ich auch. Das Ziel ist, in allen Kantonen zu wachsen. Und das oberste Ziel ist, die Stimmung im Land zu ändern. Die Nationalkonservativen müssen zurückgedrängt werden.
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