Als Kriminalpolizist hat Josef Emmenegger (71) viel erlebt. Doch wenn er über den Fall der kleinen Rebecca Bieri redet, die im Jahr 1982 entführt und umgebracht wurde, verrät seine Stimme Emotionen. «Der Fall Rebecca geht mir an die Nieren.» Jahrelang war Emmenegger Leiter der Abteilung Leib und Leben bei der Luzerner Kriminalpolizei. Seit acht Jahren ist er pensioniert, 1982 wirkte er massgeblich in der Sonderkommission Rebecca mit.
Der Fall ist bis heute ungeklärt, der Mörder nie gefunden worden. Der passionierte Jäger Emmenegger jedoch hat die Hoffnung nie aufgegeben, dass der Mörder, falls er heute noch lebt, reinen Tisch macht und auspackt. Eindringlich legt er ihm nahe, über seine Tat Rechenschaft abzulegen und in seinem Innersten aufzuräumen: «Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mensch, der eine solche Tat auf dem Gewissen hat, seine Ruhe findet.»
Fast 35 Jahre nach der Tat steht Emmenegger vor dem Schulhaus in Gettnau. Hier machte sich die achtjährige Rebecca am Samstag, dem 20. März 1982, um halb zwölf Uhr auf den Heimweg. «Es hat gehudlet und geschneit», sagt Emmenegger.
Gettnau ist eine kleine, abgelegene Gemeinde im Luzerner Hinterland. Rebeccas Eltern sind Bauern, wie die meisten Einwohner hier. Rebeccas Schulweg ist rund zwei Kilometer lang.
Nach dem Unterricht geht das Mädchen an der Dorfkirche vorbei. Sie wechselt auf die andere Strassenseite, wo die Kühbergstrasse beginnt, die in die Hügel führt, hinauf zum Hof der Bieris.
Ein Anwohner hat das Kind noch auf halbem Weg gesehen, etwa 600 Meter von zu Hause muss der Entführer Rebecca gepackt haben. Auf dem Hof der Familie kommt sie nie an. Die Eltern sind an jenem Tag zu Besuch in der Rekrutenschule ihres älteren Sohnes in Luzern. Die Geschwister schlagen Alarm.
Wo ist Rebecca? Am Sonntag, dem Tag nach ihrem Verschwinden, finden Kinder ihren Schulthek in Rohr in einem Bachbett bei Aarau. Darin verpackt sind ihre Kleider. Daraus schliessen die Ermittler: Rebecca ist entführt worden; sie fiel wahrscheinlich einem Sexualverbrechen zum Opfer.
Erst ein halbes Jahr später wird die Vermutung zur schrecklichen Gewissheit: Rebecca ist tot. Ihr Skelett liegt in einem Waldstück in Niederbipp BE.
Was mit dem Mädchen genau geschehen ist, wie es entführt wurde und ums Leben kam, kann Josef Emmenegger nur vermuten. Ein Zeuge hatte an jenem Samstagmittag gesehen, wie ein weisser Mercedes mit Zürcher Kontrollschildern um die Mittagszeit die Kühbergstrasse hinauf- und wieder zurückfuhr. Kurz darauf sei der Wagen in die Hauptstrasse eingebogen.
Das Auto war dem Beobachter aufgefallen, weil damals in dieser Gegend nicht alle Tage ein Mercedes mit Zürcher Kontrollschildern vorbeifuhr. «Personen konnte der Zeuge jedoch nicht erkennen, auch ein Mädchen oder Kind hatte er nicht wahrgenommen», sagt Emmenegger.
Der Kriminalist hält die Aussage für glaubwürdig. Noch heute ist er überzeugt, dass der Mörder den Mercedes steuerte. 1090 weisse Fahrzeuge dieser Marke mit Zürcher Kennzeichen wurden in den Monaten danach untersucht.
«Wir versuchten alles, um den Täter zu überführen, befragten rund 700 Personen», erinnert sich Emmenegger. Er ist sicher: «Mit der heutigen DNA-Spurensuche hätte man ihn wohl gefasst.»
Es sei durchaus möglich, dass die Ermittler damals sogar das Auto des Täters gefunden und untersucht haben. Die damaligen Methoden der Spurensicherung hätten aber nicht mehr zu einem Beweis führen können. Eine gründliche Reinigung des Autos wäre zur Beseitigung von Spuren ausreichend gewesen.
Auf den Mercedes-Fahrer weisen auch weitere Umstände hin: Am Tag der Entführung lag ein wenig Schnee, und an einer Stelle, wo die Strasse zu Rebeccas Elternhaus von dichtem Wald gesäumt ist, gab es Spuren eines Autoreifens. «Dort fühlte sich der Täter einen Augenblick sicher und unbeobachtet», glaubt Emmenegger. Er könnte das Kind in sein Auto gezerrt haben und weggefahren sein. Vielleicht habe er es auch in den Kofferraum gesperrt.
Emmenegger vermutet, dass der Täter zunächst auf der Hauptstrasse Richtung Bernbiet fuhr und das Kind am späteren Fundort in Niederbipp getötet hat. Später sei er auf der Autobahn zurück Richtung Zürich gefahren. Bei Aarau habe er dann abseits der Strasse Rebeccas Schulsack mit ihren Kleidern weggeworfen.
«Aber das alles sind nur Hypothesen», betont der frühere Kriminalpolizist. «Mit Sicherheit wissen wir das nicht.»
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Zwischen 1980 und 1989 wurden in acht Kantonen elf Kinder im Alter zwischen sechs und 14 Jahren entführt. Der Luzerner Ex-Ermittler Josef Emmenegger sieht im Fall Rebecca Bieri Parallelen zu vier späteren Entführungsfällen. Auch sie sind bis heute ungeklärt:
- Loredana Mancini in Spreitenbach AG: Die Achtjährige verschwand 1983 auf dem Weg ins Shoppingcenter in Spreitenbach. Ihre Leiche wurde in einem Waldstück bei Rümlang ZH gefunden.
- Sarah Oberson in Saxon VS: Die Sechsjährige wurde 1985 zuletzt mit dem Velo vor dem Schulhaus des Dorfes gesehen. Seither ist sie verschwunden.
- Sylvie Bovet aus Neuenburg: Das zwölfjährige behinderte Mädchen verschwand 1985 während eines Waldspaziergangs mit anderen Kindern und ist seitdem vermisst.
- Edith Trittenbass in Gass-Wetzikon TG: Die Achtjährige verschwand 1986 auf dem Weg zur Schule und wird seit damals vermisst.
- Peter Roth in Mogelsberg SG: 1984 verschwand der Achtjährige auf dem Heimweg von der Schule. Auch von ihm fehlt bis heute jede Spur.
Josef Emmenegger ist überzeugt, dass damals mindestens zwei Serientäter unterwegs waren. Werner Ferrari, verurteilt wegen mehrfachen Kindsmordes, hatte es mit einer Ausnahme auf Buben abgesehen, sagt der Ex-Ermittler. Ein zweiter Täter habe es vor allem auf Mädchen abgesehen gehabt. Auffallend sei, dass fast alle Opfer eine gewisse Ähnlichkeit hatten, z. B. eine Rundhaarfrisur trugen. Bemerkenswert sei auch, dass der Täter meist in der Nähe von Schulen zuschlug.
Zwischen 1980 und 1989 wurden in acht Kantonen elf Kinder im Alter zwischen sechs und 14 Jahren entführt. Der Luzerner Ex-Ermittler Josef Emmenegger sieht im Fall Rebecca Bieri Parallelen zu vier späteren Entführungsfällen. Auch sie sind bis heute ungeklärt:
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Josef Emmenegger ist überzeugt, dass damals mindestens zwei Serientäter unterwegs waren. Werner Ferrari, verurteilt wegen mehrfachen Kindsmordes, hatte es mit einer Ausnahme auf Buben abgesehen, sagt der Ex-Ermittler. Ein zweiter Täter habe es vor allem auf Mädchen abgesehen gehabt. Auffallend sei, dass fast alle Opfer eine gewisse Ähnlichkeit hatten, z. B. eine Rundhaarfrisur trugen. Bemerkenswert sei auch, dass der Täter meist in der Nähe von Schulen zuschlug.
Der Fall Rebecca Bieri hat Ähnlichkeit mit dem Fall Ylenia. Die Fünfjährige wurde am 31. Juli 2007 in Appenzell nach einem Besuch im Hallenbad entführt. Am 15. September fand ein Mann ihre Leiche in einem Wald bei Oberbüren SG – der Rucksack mit ihren Kleidern lag knapp drei Kilometer entfernt im Wald. Als Kidnapper stellte sich Urs Hans von Aesch heraus. Kurz nach der Tat brachte er sich um. Zur Tötung Ylenias konnte er nicht mehr befragt werden.
Trotz vieler Parallelen hält es der Ermittler Josef Emmenegger für unwahrscheinlich, dass von Aesch auch Rebecca auf dem Gewissen hat. Die Sonderkommission habe sein Vorleben in den Achtzigerjahren genau untersucht und keine konkreten Hinweise gefunden, dass er der zweite Serientäter sein könnte, «aber komplett ausgeschlossen ist es nicht».
Der Fall Rebecca Bieri hat Ähnlichkeit mit dem Fall Ylenia. Die Fünfjährige wurde am 31. Juli 2007 in Appenzell nach einem Besuch im Hallenbad entführt. Am 15. September fand ein Mann ihre Leiche in einem Wald bei Oberbüren SG – der Rucksack mit ihren Kleidern lag knapp drei Kilometer entfernt im Wald. Als Kidnapper stellte sich Urs Hans von Aesch heraus. Kurz nach der Tat brachte er sich um. Zur Tötung Ylenias konnte er nicht mehr befragt werden.
Trotz vieler Parallelen hält es der Ermittler Josef Emmenegger für unwahrscheinlich, dass von Aesch auch Rebecca auf dem Gewissen hat. Die Sonderkommission habe sein Vorleben in den Achtzigerjahren genau untersucht und keine konkreten Hinweise gefunden, dass er der zweite Serientäter sein könnte, «aber komplett ausgeschlossen ist es nicht».