Ein Zeichen gegen die Zwangsehe: Im Kanton Thurgau wurden zwei Mal Eltern wegen versuchter Zwangsverheiratung verurteilt.
Bei einem Fall wollten die Eltern einer Thurgauerin ihre erwachsene, aber junge Tochter zur Hochzeit mit einem von ihnen ausgesuchten Mann zwingen – doch sie machten die Rechnung ohne ihre mutige Tochter: Sie zeigte die Eltern an.
Sie will sich ihren Mann selber aussuchen. Die Thurgauer Justiz greift durch und sorgt für eine Schweizer Premiere: Sie verurteilt die Eltern wegen versuchter Zwangsheirat, schreibt das «St. Galler Tagblatt».
Bis zu Freiheitsstrafe oder Landesverweisung bei Verurteilung
Ein derartiges Urteil ist erst seit wenigen Jahren möglich: Seit Juli 2013 ist das Bundesgesetz in Kraft. Zweimal kam es seither zur Anwendung – beide Male im Thurgau. Gesamthaft habe die Kantonspolizei Thurgau in vier Fällen wegen Verdachts auf Zwangsheirat ermittelt, schrieb die Thurgauer Regierung auf eine Anfrage des SVP-Kantonsrats Pascal Schmid aus Weinfelden. Da die Zwangsheirat als Offizialdelikt behandelt wird, muss es von Amtes wegen verfolgt werden.
Eine versuchte Zwangsheirat kann hart bestraft werden. Das Gericht kann Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren aussprechen, zudem muss seit Oktober auch eine Landesverweisung geprüft werden. In den zwei Thurgauer Fällen kamen die Verurteilten jedoch glimpflich davon: «Die mit Strafbefehl ausgesprochenen Strafen lagen zwischen 90 und 120 Tagessätzen Geldstrafe», sagt Stefan Haffter, Mediensprecher der Thurgauer Staatsanwaltschaft. «Dies jeweils verbunden mit einer Busse.»
Anzeige hat folgenschwere Konsequenzen
Die junge Frau bewies mit der Anzeige der Eltern viel Mut – nicht jedes Opfer wagt diesen folgenschweren Schritt. Schliesslich kann der Aufstand gegen die arrangierte Ehe einen Bruch mit der Familie, der Kultur und damit eine Neuorganisation des Lebens zur Folge haben.
«Einige erschrecken, wenn sie sich der Konsequenzen bewusst werden», sagt Ilona Swoboda, Leiterin der Beratungsstelle für gewaltbetroffene Frauen Thurgau zum «St. Galler Tagblatt». «Sie müssen abwägen, was schwerer wiegt.»
Dass die zwei Verurteilungen im Thurgau stattfanden, ist laut der Fachstelle Zwangsheirat wohl Zufall. Solche Fälle seien in Kantonen mit grösserer Zuwanderung wahrscheinlicher. «Es sind Leute mit Migrationshintergrund, die Hilfe suchen, weil ihre Familie für sie einen Ehepartner auswählt», sagt Präsidentin Anu Sivaganesan. Es gehe dabei um die Wahrung von Tradition, Patriotismus oder Sexualitätsnormen. (kra)