Chefärztin in Wil SG wegen Pfusch verurteilt
Bäuerin verblutete nach Totgeburt im Spital

Die verurteilte Chefärztin darf weiter im Spital arbeiten. Man hat ihr einen Coach zur Seite gestellt.
Publiziert: 15.08.2012 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 16:50 Uhr
Spital Wil: Hierhin musste die Bäuerin, um ihre Totgeburt einleiten zu lassen. Nach der Totgeburt starb die siebenfache Mutter.
Foto: Marcel Sauder
Von Fabienne Riklin und Laila Schläfli

Lange wurde der Fall vor der Öffentlichkeit verheimlicht. Und auch gestern, als er publik wurde, versuchten die Behörden, mit Informationen zu sparen.

Das Gesundheitsdepartement des Kantons St. Gallen teilte zwar mit, dass eine Chefärztin wegen fahrlässiger Tötung verurteilt worden war.

«Eine Patientin verstarb im Oktober 2007 nach der Geburt», hiess es. Das Kreisgericht Wil habe im Juni die verantwortliche Chefärztin zu 24 Monaten Gefängnis bedingt verurteilt. Das Urteil sei rechtskräftig. Und: «Der Vorfall hat grosse Betroffenheit ausgelöst und wird von allen Beteiligten bedauert.»

Aber: Wie die Chefärztin des Spitals Wil gepfuscht hatte und wer deshalb das Leben lassen musste – dazu wollte man lieber schweigen.

BLICK weiss: Beim Opfer handelte es sich um eine Bäuerin, sie hinterliess einen Mann und sieben Kinder. Ihr Baby war während der Schwangerschaft gestorben. Zur Einleitung der Totgeburt musste sie ins Spital. Und verblutete.

«Der Witwer aus der Region St. Gallen trat über ein Jahr nach dem Tod seiner Frau mit der Bitte an den SPO-Patientenschutz heran, ihn in der finanziellen Not zu beraten, weil die Haftpflichtversicherung seither keine Haushaltshilfe bezahlte», sagt Margrit Kessler, GLP-Nationalrätin und ­Patientenschützerin.

Nach der Totgeburt seien erhebliche, ungewöhnliche Blutungen aufgetreten. «Den schon siebenfachen Eltern kam das nicht normal vor. Doch die Bedenken wurden verworfen, leider nicht früh genug ernst genommen. Hätte man rea­giert, hätte die Frau überlebt», so Kessler.

«Der Witwer stand von ­einem Tag auf den andern alleine mit den Kindern da, brauchte dringend eine Haushaltshilfe, um weiter im Familienalltag zu funktionieren», sagt die Patientenschützerin. «Doch das Geld dazu fehlte ihm, und die Entschädigung der Spital-Haftpflichtversicherung fliesst in solchen Fällen erst, wenn der Fall rechtskräftig abgeschlossen ist.»

Nach über einem Jahr habe die Familie dann endlich die ­finanzielle Unterstützung bekommen, die notwendig war. Margrit Kessler: «Dieser tragische Vorgang zeigt, wie bedenklich unser Haftungswesen in solchen Fällen organisiert ist: Dass man bis zu einem Urteil alles selber berappen muss, kann doch nicht sein!»

Die verurteilte Chefärztin Cécile L.* darf weiter im Spital arbeiten. Man hat ihr einen Coach zur Seite gestellt. «Es ist ein tragischer Einzelfall», so René Fiechter (50), Vorsitzender der Geschäftsleitung der Spitalregion. «Und auch der einzige Todesfall in der Geburtshilfe seit Bestehen der Klinik.»

Wie viel man dem Witwer und den sieben Halbwaisen für den Tod seiner Frau und ihrer Mutter bezahlt hat, will man nichts sagen. «Über die Höhe der haftpflichtrechtlichen Forderungen möchte ich keine Auskunft geben», so Fiechter.

* Name der Redaktion bekannt

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