Schwester Maria (54) verlässt das Kloster in Rickenbach LU stets in ihrer Ordenstracht – obwohl sie dafür Hohn und Spott einstecken muss. «Immer öfter höre ich beleidigende Sprüche», sagt die Priorin. «Die Bezeichnung ‹Pinguin› ist noch die harmloseste.»
Die Kommentare kommen oft von Jugendlichen, aber auch Erwachsene pöbeln die Nonne an. «Vor allem in Gruppen fühlen sie sich stark und cool, wenn sie über mich und meine Kleidung herziehen.»
Auch die Schwestern der Abtei Frauenthal in Hagendorn ZG müssen herabwürdigende Kommentare ertragen. «Wir tragen unsere Robe mit Stolz, im Kloster ist das kein Problem», sagt Äbtissin Consolata (72).
«Aber auf der Strasse gibt es immer häufiger negative Kommentare, leider werden wir oft beleidigt.» Viele Schwestern würden sich deshalb nicht mehr trauen, ihre Ordenstracht in der Öffentlichkeit anzuziehen. «Sie sind stattdessen in zivilen Kleidern unterwegs.» Von der Kirche werde das erlaubt. «Aber natürlich finden wir es sehr schade.»
Jacqueline Grigo (43), Religionswissenschaftlerin an der Universität Zürich, kennt die Probleme der Ordensschwestern. Für eine Forschungsarbeit und ein kürzlich erschienenes Buch hat sie Träger religiöser Kleidung über Monate hinweg begleitet: eine Muslimin mit Kopftuch, einen indischen Sikh mit Turban, einen Juden mit Kaftan und eine Ordensschwester im schwarzen Habit.
Alle Teilnehmer der Studie berichteten von negativen Erfahrungen im öffentlichen Raum. «Darunter fallen verbale Angriffe, Spott, abschätzige Bemerkungen, Beleidigungen, offene Beschimpfungen, Drohungen sowie böse Blicke und abwertende Gesten», sagt Grigo.
Es habe sie überrascht, dass auch Ordensschwestern diskriminiert werden. «Weil ich immer der Meinung war, dass sie in der christlichen Schweiz gut verankert sind.»
Ein Grund für die Zunahme der Beleidigungen sei, dass die Zahl der Nonnen zurückgeht. «Vor 50 Jahren fielen sie im öffentlichen Raum kaum auf. Aber heute sind Ordensfrauen eine Ausnahme und wirken durch ihre Kleidung exotisch. Und Personen, die nicht der Norm entsprechen, bieten Angriffsfläche für Diskriminierungen.»
Dagegen muss auch Schwester Marianne* (68) kämpfen, die an der Studie teilgenommen hat. Vor 44 Jahren streifte die St. Gallerin den Habit zum ersten Mal über, als sie dem Orden der Barmherzigen Schwestern beitrat: «Damals hat das einfach dazugehört. Das war die Norm.» Heute sei die Robe unverzichtbarer Bestandteil ihrer Identität.
«Mit der Zeit fühlt man sich nur darin richtig wohl und zu Hause», sagt die Ordensfrau. Gleichzeitig merke sie aber auch, dass sie «mehr und mehr zur Exotin» werde.
Gerade in urbanen Gegenden werde sie «oft etwas seltsam angeschaut». Zudem müsse sie sich Beleidigungen anhören. «Jö, der Pinguin!», sagen Passanten im Vorbeigehen. Andere rufen: «Schau, der Kohlensack.»
Wegen solcher Aussagen meidet Schwester Marianne heute das Kino, Konzertbesuche kosten Überwindung. Und einen Jahrmarkt habe sie fluchtartig verlassen. «Ich hatte den Eindruck, ich passe nicht hierhin.»
Auch Vertreter anderer Religionen berichten in der Studie von negativen Erfahrungen. Sikh Panesar Singh* (32) findet wegen seines Turbans keinen Job in seinem Ausbildungsberuf. Die Muslimin Selina Güney* (25) fühlt sich wegen ihres Kopftuchs oft nicht akzeptiert.
Woher kommt die zunehmende Intoleranz gegenüber religiöser Kleidung? Schweizer seien nicht grundsätzlich rassistisch, sagt Wissenschaftlerin Grigo. «Aber es gibt eine skeptische Grundhaltung gegenüber offen sichtbar gemachter Religion. Vorschnell werden Träger religiöser Kleidung mit Rückständigkeit, Frauenunterdrückung oder fehlender Integrationsbereitschaft in Verbindung gebracht.»
Solche Vorurteile sollten kritisch hinterfragt werden, da sie in den meisten Fällen falsch seien. Hilfreich sei eine gesunde Portion Neugier. «Die meisten religiösen Menschen freuen sich, wenn man Fragen über ihren Glauben stellt.»
Auch Schwester Maria erklärt geduldig und gerne, weshalb sie ihre Ordenstracht trägt: «Es ist mein Zeugnis, mit dem ich mich zur Kirche bekenne, zu unserem Orden, zu meinem Glauben.» Sie sei stolz auf ihre Robe. «Auch wenn ich beleidigt werde, die Kleidung werde ich nicht ändern. Auch ausserhalb des Klosters nicht.»