Oberwil-Lieli AG kämpft gegen alle
Das Dorf der Aufmüpfigen

Die kleine Aargauer Gemeinde lässt sich von niemandem dreinreden. Den Ärger nimmt man gern in Kauf.
Publiziert: 31.08.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 09.10.2018 um 12:35 Uhr
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Oberwil-Lieli AG kämpft gegen Asylbewerber, faule Sozialhilfe-Empfänger, den Kanton und den Bund.
Foto: Joseph Khakshouri
Von Carmen Schirm-Gasser (Text) und Joseph Khakshouri (Fotos)

Oberwil-Lieli liegt 15 Kilo­meter westlich von ­Zürich. Die 2200-Einwohner-Gemeinde liegt sonnig und verkehrsgünstig, hat tiefe Steuern und eine prallvolle Gemeindekasse. Eine kleine Idylle. Aber es brodelt! Denn hier ­leben Widerständler. Beschimpft von den einen als «Querulanten», von anderen gefeiert als die «Gallier der Schweiz».

Regelmässig schafft es die aufmüpfige Aargauer Gemeinde in die Lokalpresse. Sei es wegen eines neuen Affronts des Gemeinde­ammanns gegenüber den kantonalen Behörden. Sei es wegen eines Vorstosses in Sachen Autonomie. Vor Ort ist man sich einig: Die ­Gemeinden werden mehr und mehr bevormundet. Deshalb mache man es in Oberwil-Lieli anders. Und das auf fast allen Gebieten.

Asylwesen

«Wir wollen uns von Bern keine Asylbewerber diktieren lassen», sagt Gemeindeammann Andreas Glarner, seit neun Jahren im Amt. Vorsorglich liess die Gemeinde vor einigen Jahren ein Haus abbrechen, das dem Kanton gehörte. Man befürchtete, dieser könnte das Haus als Asylbewerberheim verwenden wollen. Ein weiteres «potenzielles Asylantenheim» kaufte die Gemeinde gleich selbst – und riss es ab.

«Im Asylwesen gibt es auf Staatsebene ein grundsätzliches Problem, das an die Gemeinden delegiert wird», sagt der SVP-Grossrat und Hard­liner Glarner. «Nur wenn es in den Gemeinden Widerstand gibt, merkt man in Bern, dass es so nicht weitergehen kann.»

Unsolidarisch und unsozial, antwortete man in Aarau. Und massregelte die Gemeinde. Rund 19'000 Franken musste Oberwil-Lieli 2014 als Ersatzausgabe zahlen wegen Missachtung der Aufnahmepflicht. Doch dort will man selbst höhere Sanktionen in Kauf nehmen. Und die sind bereits angedroht.

Sozialhilfe

Sozialhilfe-Empfänger in Oberwil-Lieli werden zur Arbeit verpflichtet. Im Werkhof, in der Schule, bei der Müllabfuhr oder bei Murimoos, einer Einrichtung mit geschützten Arbeitsplätzen. «Wer von der ­öffentlichen Hand lebt, sollte ­etwas zurückgeben», findet Andreas Glarner. Kritik erstickt er im Keim. Denn das System funktioniere. «Arbeitsfaule Antragsteller haben allein durch die Androhung, arbeiten zu müssen, ihren Antrag wieder zurückgezogen.» Andere hätten so den Sprung ins Arbeitsleben zurückgeschafft.

Raumplanung

Der Bundesrat will die Zersiedelung stoppen. Das Rezept heisst Verdichtung. Davon hält man in Oberwil-Lieli nichts. Denn es widerspreche den Eigentumsrechten. «Jeder soll auf seinem Land machen können, was er will», sagt Glarner. «Lose aneinandergereihte Einfamilienhäuser, das ist unser Erfolgsrezept. Bloss keine Verdichtung.»

«Wir sind aufmüpfig», bestätigt Gemeinderat Ilias Läber. «Gerade gegenüber Sachen, die aus Aarau kommen und die wir als überflüssig erachten.» Wie etwa die verordnete Verkehrsschilder-Zählung.

Vor zwei Jahren erst in die Gemeinde gezogen, sitzt BDP-Mitglied Läber seit einem Jahr im bürgerlich dominierten ­Gremium. Im Unterschied zu Bundesbern seien Grundsatzdiskussionen im Gemeinderat selten, sagt der Ingenieur und Ökonom. In wichtigen Dingen sei man sich einig.

Dazu gehört das Erfolgsmodell, auf das die Gemeinde baut. Reiche werden dank tiefer Steuern angezogen, was die Gemeindekasse füllt, wodurch wiederum der Mittelstand unterstützt werden könne. «Oberwil-Lieli ist anders als die anderen», sagt Läber. Als Beispiel nennt er die Sackgebühr, die die Gemeinde für seine Bürger berappt. Zumindest tat sie dies bis Ende letzten Jahres.

Sackgebühren

Übergeordnetes Recht verlangt, dass der Verursacher die Kehrichtentsorgung bezahlt. In Oberwil-Lieli jedoch finanzierte die Gemeinde die Hausmüllentsorgung. «Ein Akt des sozialen Ausgleichs», nennt es Ilias Läber. Gerade Familien mit Kindern hätten mehr Abfall als so mancher Reiche, der selten zu Hause sei. Doch der Kanton drängte auf eine Änderung des Systems.

Die erste Frist 2011 verstrich. Ebenso die folgende. Oberwil-Lieli gab sich kämpferisch. Bis die Drohung kam, der Regierungsrat könne der Gemeinde die Selbstverwaltung entziehen. Das wirkte. Zähneknirschend wurde Anfang 2015 eine Sackgebühr eingeführt.

Verkehrsschilder

Der Kanton hatte die Gemeindeverwaltung angewiesen, alle Geschwindigkeitsbeschränkungen, Verkehrsschilder, Zebrastreifen und Einbahnen im Dorf zu zählen. Für Oberwil-Lieli ein Affront! Immerhin hatte der Kanton den Schilderwald verordnet – und wusste nun nicht, wie viele aufgestellt worden waren. Die Anfrage blieb liegen. «Für so etwas haben wir keine Zeit», sagt Läber.

Ob diese Renitenz Schule machen wird? Erstmals kandidiert Andreas Glarner im Herbst für den Nationalrat. Dann wird sich zeigen, ob Oberwil-Lielis beinharter Gemeindeammann auf kantonaler Ebene ebenso gut ankommt wie zu Hause. Einer seiner Wahlsprüche dürfte jedenfalls für Zündstoff sorgen: «Kopf hoch statt Kopf ab.»

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