Zürcher Polizei-Puff im Langstrassen-Milieu
«Mit Sex kann man hier kaum noch Geld verdienen!»

Der «Kreis Cheib» ist nicht mehr der Sündenpfuhl der Schweiz. Das Milieu wird an den Stadtrand gedrängt. Trotzdem gibt es mehr Gewalt im Langstassen-Viertel.
Publiziert: 14.11.2013 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 04:14 Uhr
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Vom Sündenpfuhl zur Partymeile: Die Langstrasse in Zürich.
Foto: Dominic Büttner
Von Gabriela Battaglia und Adrian Schulthess

Krumme Dinger mit Kreditkarten, Sittenpolizisten in Haft, ein versiegeltes Lokal: Die Razzia vom Montag im Zürcher Nachtclub Chilli’s erinnert an Fernsehkrimis. Und an eine Zeit, in der die Langstrasse im ganzen Land als Sündenmeile bekannt war.

Mit dem Epizentrum rund um das Hotel Regina, das Restaurant Sonne und eben das Chilli’s. Das Bermuda-Dreieck, das so heisst, weil Gäste dort gerne abstürzen und ihnen das Geld durch die Finger rinnt.

Doch die goldenen Zeiten sind im Milieu Geschichte. «Früher sassen am Sonntag die Innerschweizer vor der ‹Sonne›, tranken Bier und schauten den Frauen mit den kurzen Röcken nach», sagt Jimmy A.* (63), der an der Peripherie des Quartiers den Club Pascha betreibt. «Heute gibt es dort nichts mehr zu sehen. Ausser Chügelidealer am Handy.»

Das Geschäft wird in der Agglo gemacht

Das grosse Geschäft wird heute in den Saunaclubs in den Industriegebieten der Agglomeration gemacht. «Das ist ja eigentlich auch nicht schlecht», sagt Jimmy A. «Dort ist alles organisiert, kontrolliert, sauber.»

Ein anderer langjähriger Kenner des Langstrassenquartiers formuliert es deutlicher: «Mit Sex kann man hier kaum noch Geld verdienen», sagt er. «Freier, die heute noch an die Langstrasse kommen, sind auf der untersten Stufe. Sie wollen Sex und Drogen zusammen konsumieren. Es gibt auch keine Milieukönige mehr. Und es wird sie auch nie mehr geben. Das waren Leute, die einen Bezug zum Quartier hatten. Die Szene hat sich total verändert», sagt er.

Heute dominieren Figuren wie der verhaftete Chilli’s-Boss Samir «Sämi» Y.* (42) bloss noch Nischen in der Halbwelt. Er soll die Betriebskasse mit fiesen Kreditkarten-Tricks aufgebessert haben (BLICK berichtete).

Das Sexgewerbe wird wohl nie aus dem Zürcher Kreis 4 verschwinden. «Das Milieu gab es im Quartier schon immer», sagt Renata Taiana (51), Präsidentin des Quartiervereins Aussersihl-Hard. «In der Bevölkerung herrscht darüber eine stille Akzeptanz.»

«Die Gewalt hat zugenommen.»

Sorgen machten ihr heute nicht die Freier. Sondern andere Langstrassen-Gäste. «Jene, die herumstehen, wenn die Bars schliessen. Die getrunken oder Drogen genommen haben und aggressiv werden», sagt Taiana. «Die Gewalt hat zugenommen.»

Jimmy A. stimmt ihr zu. «Früher hat es mir nichts ausgemacht, wenn ich nachts um zwei über die Langstrasse gegangen bin. Vielleicht sogar noch mit Geld im Sack. Heute tue ich mir das nicht mehr an. Es gibt viel zu viel Gewalt.» Mit der Arbeit der Polizei seien sie aber zufrieden, sagen die Frau vom Quartierverein und der Mann vom Sexclub.

Jimmy A. sagt: «An der Langstrasse ist die Kultur verloren gegangen. Nicht nur im Milieu. Früher hatte es hier viele gute Restaurants. Heute steht hier nur noch Kebab-Stand an Kebab-Stand.»

Die Reichen verdrängen Alteingesessene

Und dann gibt es noch ein Problem: Die Langstrasse wird schick. «Alteingesessene müssen raus, nach der Sanierung können sie sich die Mieten nicht mehr leisten», sagt Tai­ana. Auch Jimmy A. sieht das so. «Das Milieu wird verdrängt. In einem Haus am Bermuda-Dreieck gab es fast 80 Wohnungen, in denen Prostituierte arbeiteten. Die mussten alle raus», sagt er. «Frauen, die schon lange im Geschäft sind. Die kommen nicht einfach bei einem anderen Salon unter, weil ihr Datum vielleicht schon abgelaufen ist. Am Ende bleibt ihnen nur das Sozialamt.»

* Namen der Redaktion bekannt

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