Die Hausärzte sind das Rückgrat des Schweizer Gesundheitssystems. Noch. Denn es gibt immer weniger Arztpraxen – vor allem auf dem Land.
Eine, die sich deswegen Sorgen macht, ist die 47-jährige Allgemeinmedizinerin Vera Stucki-Häusler. Nachdem sie mehrere Jahre als Kaderärztin auf einer Notfallstation gearbeitet hatte und auch Assistenzärzte ausgebildet hat, übernahm sie 2015 eine Hausarzt-Praxis in der Stadt Zürich. Ihre Motivation: «Ich finde es fachlich extrem spannend, wenn man als Ärztin Patientinnen und Patienten sorgfältig und langfristig begleiten kann.» So könne man ihnen bei kleinen und grösseren Erkrankungen beistehen.
Nach mehr als einem Jahr ist ihr Fazit ernüchternd: «Ich habe den Assistenzärzten, die ich betreut habe, immer eingebläut, dass das Gespräch mit dem Patienten und die Untersuchung des Körpers 95 Prozent einer guten Diagnose ausmachen.» Wenn man die Patienten ernst nehmen wolle, müsse man auf sie eingehen können. All das benötige Zeit. Stucki-Häusler: «Nur wird genau das von den bisherigen Tarifen zu wenig oder gar nicht honoriert.»
Kosten für die Praxen sind gestiegen
Auch sonst sieht sie die Praxen finanziell unter Druck. So seien in den 13 Jahren, seit der Tarif letztmals angepasst worden ist, viele Kosten gestiegen oder neue dazugekommen: «E-Health, Digitalisierung der Medizin oder elektronische Krankendossiers sind zwar eine gute Sache, doch damit sind hohe Kosten für IT, Datensicherheit und Support verbunden.» Wer heute eine gut ausgebildete Praxisassistentin finden wolle, müsse für deren Lohn viel mehr budgetieren als noch 2003.
Für Stucki-Häusler ist klar: «Wir finden Investitionen in die Qualität der Behandlung wichtig – aber auch die Krankenkassen müssten das unterstützen.» Diese übten jedoch eher Druck auf den Arzt aus, die Konsultationen und das Aktenstudium möglichst kurz zu halten.
Jetzt macht die Ärztin ihre Sorgen öffentlich. In einem offenen Brief an die Zürcher Bevölkerung erklärt sie, warum sie den Beitrag der Ärzte mit eigener Praxis so wichtig für die Gesundheitsversorgung hält: «Der Hausarzt hält alle Fäden bei einer Behandlung zusammen, sorgt dafür, dass alle Informationen in der Patientenakte verzeichnet sind – das ist ein wichtiger Beitrag zu einer lebenslangen, guten und günstigen Gesundheitsversorgung.»
Viele Hausärzte finden gar keine Nachfolger mehr
Für Stucki-Häusler, die angehende Ärzte in Medizinethik unterrichtet, ist eine allzu starke Ausrichtung des Gesundheitswesen nach wirtschaftlichen Kriterien ethisch fragwürdig: «Es ist ein zu hohes Gut, als dass man einzig die Kosten als alles entscheidenden Faktor ansehen kann.» Patienten müssten wieder im Zentrum stehen. Stucki-Häusler will auch Druck machen für eine Tariferhöhung, weil viele Hausärzte keine Nachfolger mehr finden. «Im Zürcher Dorf, wo meine Eltern leben, praktiziert der Dorfarzt weiter, auch wenn er längst hätte in Pension gehen können», sagt Stucki-Häusler.
Er aber stelle die Verantwortung für seine Patienten über die eigenen Interessen. Ohne ihn gäbe es in diesem Dorf keine günstige und nahe medizinische Grundversorgung mehr. Die Hausärzte sind das Rückgrat des Schweizer Gesundheitssystems. Noch. Denn es gibt immer weniger Arztpraxen – vor allem auf dem Land.