Herz-Eingriffe
Spitäler machen Kasse mit unnötigen OPs

Eingriffe am Herzen geschehen oft nicht aus medizinischen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen. Jetzt schlägt der oberste Kardiologe Alarm.
Publiziert: 05.04.2015 um 10:57 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 19:08 Uhr

In der Schweiz werden immer mehr Menschen sogenannte Stents eingesetzt. Doch nicht immer erhalten Patienten diese Gefässstützen, weil sie sie wirklich brauchen - auch wirtschaftliche Gründe spielen eine Rolle. Das sagt der Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie, Urs Kaufmann.

Die Zahl der Herzgefäss-Behandlungen mit Katheter und Stents verdoppelte sich zwischen 2002 und 2013 auf 22'000 pro Jahr. Die Zunahme habe einerseits mit der demografischen Entwicklung zu tun, sagte Kaufmann in einem Interview mit der «Sonntagszeitung» und «Le Matin Dimanche».

Zudem würden Behandlungen heute aggressiver auf Patienten über 80 Jahre ausgedehnt. «Es gibt aber sicher auch eine Mengenausweitung, die nicht primär mit dem Wohl des Patienten zu tun hat», sagte Kaufmann. Diese Eingriffe seien lukrativ.

«Der Verdacht besteht, dass in gewissen Spitälern rein betriebswirtschaftliche Überlegungen oder Anreize gegenüber medizinischen Kriterien eine übergeordnete Rolle spielen», sagte Kaufmann. Die Politik habe dieses Anreizsystem gewollt - und zwinge die Spitäler zu solchem Verhalten.

Das Problem sei, dass die Infrastruktur im Bereich der invasiven Kardiologie in der ganzen Schweiz laufend ausgebaut werde. «Ein Spital nach dem anderen wird mit einem Herzkatheter-Labor ausgerüstet», kritisierte Kaufmann. «Hier zeigt sich ein 'Gärtli-Denken' der Kantone - auf Kosten der Prämien- und Steuerzahler.»

In allen neuen Labors werde die anfänglich geplanten Zahl an Eingriffen innerhalb von kurzer Zeit weit übertroffen - ohne dass anderswo die Zahlen stark zurückgingen. «Damit steht die Frage im Raum, ob all diese zusätzlichen Eingriffe stets im Sinne der Patienten geschahen.»

Ob der Eingriffe dem Patienten dient, ist laut Kaufmann nicht immer einfach zu sagen: Die Messmethoden, welche voraussagen, ob der Patient bezüglich Lebenserwartung von einer Intervention profitiere, seien sehr teuer und würden nicht systematisch angewandt.

«Das heisst im Klartext, dass es bei einigen Patienten nicht klar ist, ob ein Stent ihnen eine bessere Lebenserwartung bringt.» Der Arzt müsse bei Patienten ohne klare Symptome nicht selten im Graubereich entscheiden, ohne feste Kriterien.

Kaufmann betonte aber, die Schweiz habe eine der tiefsten Sterblichkeit wegen Erkrankungen der Herzgefässe weltweit. Schweizer Patienten würden gemäss Studien überdurchschnittlich schnell und gut behandelt.

Stents sind winzige Gitterröhrchen, die verengte Blutgefässe dauerhaft offen halten.

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