Felssturz im Val Cama
Ein Stein erschlug sie

Auf der Flucht vor einem Felssturz, wurde die 38-jährige Sennerin Katya B. von einem Stein erschlagen. Das Kind in ihren Armen überlebte!
Publiziert: 27.07.2013 um 00:52 Uhr
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Aktualisiert: 09.10.2018 um 00:29 Uhr
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Sennerin Katya B. (†38)
Foto: vanessa Püntener
Von Myrte Müller und Daniel Riedel

Es ist 2.30 Uhr, als das Paradies zur Hölle wird. Die Alp del Lago im Bündner Val Cama liegt im Schlaf, als sich die ersten Steine lösen. Sennerin Katya B.* († 38) wacht vom Grollen auf. Sie nimmt ihre zweijährige Tochter auf den Arm, geht vor die Tür, will die 13 Kinder des WWF-Sommerlagers warnen, die in Jurtezelten schlafen.

Doch da rollen die haushohen Felsbrocken schon direkt auf die Alpgebäude zu. Einer trifft Katya B. am Oberkörper und tötet sie auf der Stelle. Während Geröllmassen die Mutter begraben, überlebt die kleine Lucia wie durch ein Wunder unverletzt. Der Vater, Robert M.* (41), und Tochter Matilde (4) stürmen aus dem Haus. Auch die anderen eilen herbei. Der Staub bildet eine so dichte Wolke, dass Minuten vergehen, ehe die Menschen die Katastrophe begreifen.

Robert M. entdeckt seine Frau, gräbt sie mit blossen Händen frei. Ein Bein bleibt eingeklemmt. Ein verzweifelter Hilfeschrei ins Handy. Die Rega wird alarmiert.

«Es war  Freitag um 2.59 Uhr, als ich hörte, dass Kinder am Felsrutsch seien. Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Auch ich habe zwei Kinder», sagt Alessandro Wellig (57). Seit Jahrzehnten ist er bei der Alpinen Rettung Schweiz. «Eine gigantische Staubwolke lag über dem Tal. Man sah die Hand vor den Augen nicht. Wir entschieden deshalb, bis zum Morgengrauen mit der Bergung zu warten.» Die vier Betreuer der Jugendgruppe bringen die zehn- bis dreizehnjährigen Kinder zu einer 500 Meter entfernten Hütte in Sicherheit. «Die Kids waren alle barfuss und im Pyjama. Wir mussten sie mit dem Heli runterfliegen», sagt Wellig. Über 20 Personen werden so evakuiert.

Antonio Spadini (52), Gemeindepräsident von Verdabbio GR kämpfte gestern mit den Tränen: «Es ist eine Tragödie. Wir hatten Glück, dass nicht noch viel mehr Menschen gestorben sind.»

Die Trauer um die engagierte Katya B. ist gross. Gemeindesekretär Giovanni Pizzetti (48) kannte sie gut. Seit acht Jahren führte die Tessiner Biologin mit ihrem deutschen Mann im Sommer die Alp, die der Gemeinde gehört. Sie produzierten Käse, kümmerten sich um ihre Tiere. «Wir haben die Alp mit Katyas Hilfe zu einem Ferienparadies gemacht», sagt Pizzetti. «Das war ihr Leben. Katya war immer so tüchtig und sehr beliebt.»

Auch die Kinder des Ferien­lagers hatten die 38-Jährige ins Herz geschlossen. WWF-Sprecher Fredi Lüthin (56): «Das Alplager wurde seit mehreren Jahren von der Hirtenfamilie betreut. Wir waren ihnen sehr verbunden.» Für die 13 Jugendlichen sei Katyas Tod ein immenser Schock. «Die Kinder waren in den Tagesablauf der Familie integriert. Zusammen wurden Ziegen gemolken, Käse gemacht und Brot gebacken. Sie kannten die Frau sehr gut, standen ihr nahe.»

Das unglaubliche Ausmass der Katastrophe erklärt Polizeisprecherin Anita Senti: «Das Volumen der herabgestürzten Felsmassen war enorm», sagt sie. Laut einem vom Bündner Amt für Wald und Naturgefahren beigezogenen Geologen kommt ein Felssturz in dieser Grössenordnung nur alle paar Jahrhunderte vor (siehe Box). Bis sich der Berg beruhigt hat, bleibt das Tal gesperrt.

Katyas Vater Franco B.* ist tief erschüttert: «Unsere Tochter war ein sehr mutiges, tolles Mädchen. Wir können ihren Tod nicht fassen.»

* Namen der Redaktion bekannt

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