Die Wetteraussichten für eine Reise ins Sonnenland Tunesien sind schlecht. Regen und Temperaturen um 16 Grad. Doch Janine Schoch (30) aus Winterthur ZH macht keine Ferienreise. Sie will drei Tage nach Jendouba, einer Stadt im Landesinnern mit 45 000 Einwohner.
Dort leben ihre beiden Kinder, Elias (7) und Jonas (6) bei den Grosseltern. Vor fast zwei Jahren hat Janines Mann die beiden Kinder nach Tunesien entführt.
Issam O.* (34) sitzt mittlerweile zwar im Gefängnis. Aber die Buben, die kriegt Janine Schoch nicht zurück.
Vor dem tunesischen Gericht hat sie das Besuchsrecht erstritten, darf die Kinder jederzeit sehen. Doch die Anspannung am Flughafen ist gross. «Ich mache mir in die Hose vor Angst», sagt Janine Schoch.
EDA riet von der Reise ab
In der Hand den kleinen Rollkoffer und eine Sporttasche voller Geschenke. Eigentlich wollte Schoch nur mit Handgepäck reisen. Aus Sicherheitsgründen. Denn ihr Mann drohte, er habe Freunde bei der Polizei, die sie wegen angeblichen Marihuana-Besitzes verhaften könnten.
Janine Schoch weiss nicht, ob sie an der Passkontrolle in Tunis verhaftet wird. Das Amt für auswärtige Angelegenheiten (EDA) hat ihr von einer Reise nach Tunesien abgeraten, die Behörde könne «die Sicherheit von Frau Schoch während eines Aufenthaltes in Tunesien in keiner Weise garantieren».
Sie fliegt trotzdem. «Meine Kinder leben ja dort.»
Seit über einem halben Jahr hat Schoch Elias und Jonas nicht mehr gesehen. «Die grösste Angst ist, dass sie mich nicht sehen wollen. Weil die Grosseltern sie aufgehetzt haben. Am Telefon sagte die Grossmutter einmal, sie würden mich nicht mehr Mama nennen. Und Elias schrie mich am Telefon auf Arabisch an. Das war schon hart.»
Mit einer Stunde Verspätung landet der Flieger in Tunis.
Als Janine Schoch ihren Pass auf die Ablage der Passkontrolle legt, passiert nichts. Der Polizist winkt sie durch. Die Erleichterung ist riesig.
Doch heute wird sie ihre Söhne noch nicht sehen. Bis sie in Jendouba ankommt, ist es bereits 20 Uhr, ihr Besuchsrecht geht bis 21.00 Uhr. «Das wäre zu abrupt für die Kinder», sagt sie.
Also trifft sie nur ihren Anwalt. Ein gänzlich in schwarz gekleideter Tunesier mit viel Gel im Haar. «Das ist im Endeffekt ein Religionsproblem», sagt er.
Sie verabreden sich für den nächsten Vormittag, 10 Uhr in Jendouba. Eine Notarin wird ebenfalls dabei sein, um zu garantieren, dass Janine Schoch ihre Kinder auch sehen darf.
Die Kinder verstehen kein Deutsch mehr
Issams Eltern wohnen in einem kleinen Quartier. Die ungeteerten Strassen sind voller Löcher. Um jedes Haus läuft eine Mauer, mit einem Stahltor.
Die Notarin klingelt. Erst will der Grossvater niemanden reinlassen. «Warum habt ihr den Besuch nicht angekündigt?», fragt er. Die Eisentüre geht wieder zu. Janine beginnt zu weinen.
Dann kommt eine Frau mit Kopftuch um die Ecke. «Die Grossmutter», sagt jemand. Sie geht die Treppe hoch, umarmt Janine wortlos. Dann gehen alle ins Haus.
Dort sind sie, Elias und Jonas. Klein. So klein. Als wäre die Zeit stehen geblieben.
Jonas strahlt, als er seine Mama sieht. Sie umarmt ihn. Dann kommt auch Elias. Er ist vorsichtiger. Wenn er lächelt, sieht man die grosse Zahnlücke. Janine zeigt darauf, lacht und sagt: «Super!»
Die Kinder verstehen kein Deutsch mehr. Janine spricht nur ein paar Brocken Arabisch.
Nach lautem Hin und Her erklärt der Grossvater, dass er wisse, dass Janine Schoch Besuchsrecht habe: «Janine darf die Kinder besuchen, aber sie kriegt kein Essen, kein Trinken. Sie macht uns keine Geschenke, wir machen ihr keine Geschenke.»
Janine Schoch packt mitgebrachte Cars-Sammelbilder aus. Elias strahlt, rennt zu seinem Bruder und beginnt auf dem Sofa mit der Auslegeordnung.
«Ich dachte, die Polizei will mich verhaften.»
Plötzlich fährt die Polizei vor dem beigen Haus vor. Issams Vater hat sie gerufen. Er befürchtet, dass jemand die Kinder wegnehmen will.
Es wird diskutiert, dann fährt die Polizei wieder weg. Janine tritt vor das Haus. «Ich muss eine rauchen, ich bin auf 180, absolut fertig», sagt sie. «Als das Tor zur Strasse aufging und ich die Polizei sah, dachte ich, sie wollen mich verhaften.»
Bereits um 18 Uhr ist der Besuch beendet. Janine kann nicht mehr. Elias und Jonas rennen auf die Strasse. Sie spielen mit den Propellern, die ihr Mami ihnen mitgebracht hat. Plötzlich stellt sich Jonas hin und zählt auf Zürideutsch von 1 bis 20. «Das einzige, was er noch kann», sagt Janine, «und sie sagen Ja und Nei.»
Über eine Stunde dauert die Fahrt ins Hotel. Es ist bereits dunkel. Der Anwalt hatte gewarnt, die Fahrt sei gefährlich. Seit der Revolution passieren auf dieser Stelle immer wieder Überfälle.
«Die Kinder haben noch Mami zu mir gesagt», sagt Janine Schoch. «Man hört das so lange nicht mehr. Es ist verrückt. Man hat das Gefühl, man sei gar kein Mami mehr. Und dann hört man es wieder.»
Am nächsten Morgen regnet es in Strömen. Auf der Terrasse vom Hotel bildet sich ein kleiner See. Die Kinder sind in der Schule. Janine kann sie erst um 17.00 Uhr sehen. Nur vier Stunden bleiben ihr mit den Jungs, dann muss sie zurück in die Schweiz.
* Name bekannt
Es war ein Pilotprozess: Am 19. Januar stand Issam O. (34) wegen der Entführung seiner beiden Söhne Jonas (6) und Elias (7) in Winterthur ZH vor Gericht. Der Tunesier hatte die Buben verschleppt und weigerte sich, sie in die Schweiz zurückzubringen.
Issam O. zeigt sich uneinsichtig. Im feinen Zwirn präsentiert er sich vor dem Richter und verhöhnt seine Ex Janine Schoch (30). «Ich habe den Kindern die Mutter nicht weggenommen. Sie kann sie ja in Tunesien besuchen», sagt er.
Doch für den Staatsanwalt ist klar: «Indem er die Kinder entführte, konnte er ihr wehtun, ihr heimzahlen, was seinen verletzten Machismo betrifft.»
Das Gericht verurteilt Issam O. zu acht Jahren Gefängnis. Die Kinder erhält Janine Schoch trotzdem nicht zurück. Die lange Haftstrafe könnte ihr aber helfen, das Sorgerecht zurück zu bekommen.
Dabei wollte Issam O. seiner Frau die eigenen Kinder zuvor noch verkaufen. In einem Mail schrieb er ihr: Wenn sie 170'000 Franken auftreibe, dürfe sie bei ihm in Tunesien leben und die Kinder wiedersehen.
Es war der traurige Tiefpunkt einer Beziehung, die 2002 in der Türkei begonnen hatte. Schoch lernt Issam O. als Animateurin kennen. Sie heiraten, ziehen nach Frauenfeld. 2004 kommt Elias zur Welt, 2005 Jonas. Issam O. verändert sich plötzlich. Er verlangt von Schoch, sich den islamischen Gebräuchen unterzuordnen. Sie trennt sich.
Am 22. August 2010 rächt er sich mit der Entführung der Söhne. Im Oktober wird Issam O. auf einer Reise nach Marokko verhaftet. Und an die Schweiz ausgeliefert.
Es war ein Pilotprozess: Am 19. Januar stand Issam O. (34) wegen der Entführung seiner beiden Söhne Jonas (6) und Elias (7) in Winterthur ZH vor Gericht. Der Tunesier hatte die Buben verschleppt und weigerte sich, sie in die Schweiz zurückzubringen.
Issam O. zeigt sich uneinsichtig. Im feinen Zwirn präsentiert er sich vor dem Richter und verhöhnt seine Ex Janine Schoch (30). «Ich habe den Kindern die Mutter nicht weggenommen. Sie kann sie ja in Tunesien besuchen», sagt er.
Doch für den Staatsanwalt ist klar: «Indem er die Kinder entführte, konnte er ihr wehtun, ihr heimzahlen, was seinen verletzten Machismo betrifft.»
Das Gericht verurteilt Issam O. zu acht Jahren Gefängnis. Die Kinder erhält Janine Schoch trotzdem nicht zurück. Die lange Haftstrafe könnte ihr aber helfen, das Sorgerecht zurück zu bekommen.
Dabei wollte Issam O. seiner Frau die eigenen Kinder zuvor noch verkaufen. In einem Mail schrieb er ihr: Wenn sie 170'000 Franken auftreibe, dürfe sie bei ihm in Tunesien leben und die Kinder wiedersehen.
Es war der traurige Tiefpunkt einer Beziehung, die 2002 in der Türkei begonnen hatte. Schoch lernt Issam O. als Animateurin kennen. Sie heiraten, ziehen nach Frauenfeld. 2004 kommt Elias zur Welt, 2005 Jonas. Issam O. verändert sich plötzlich. Er verlangt von Schoch, sich den islamischen Gebräuchen unterzuordnen. Sie trennt sich.
Am 22. August 2010 rächt er sich mit der Entführung der Söhne. Im Oktober wird Issam O. auf einer Reise nach Marokko verhaftet. Und an die Schweiz ausgeliefert.