Marco J.* (39) gibt sich gern umgänglich und engagiert. Der geschiedene Vater zweier Söhne lebt seine Homosexualität offen. Seit 2013 ist er Präsident des Vereins SchwuLe Oberwallis (SchwuLeOb) und setzt sich auch für die Anliegen von Lesben ein.
Immer wieder tritt er in dieser Funktion öffentlich auf. Zuletzt verurteilt er im Januar auf dem Oberwalliser Regionalsender RRO die CVP-Initiative zur Heiratsstrafe. J., der in einer eingetragenen Partnerschaft lebt, engagiert sich auch im Kampf gegen HIV. Am Open Air Gampel teilt er sich einen Infostand mit der Aids-Hilfe Oberwallis und verteilt Flyer.
Doch hinter der strahlenden Fassade sieht es finster aus: Bereits 2006 wurde die Walliser Justiz auf Marco J. aufmerksam, weil er auf dem Computer an seinem Arbeitsplatz verbotene Pornografie gespeichert hatte. Hunderte Bilder von Sex mit Kindern und Tieren waren auf den Aufnahmen zu sehen. Marco J. kam deswegen für kurze Zeit in U-Haft und wurde 2008 zu einer bedingten Geldstrafe von rund 16000 Franken verurteilt.
Seine damalige Ehefrau fiel aus allen Wolken, als die Polizei sie über das geheime Doppelleben des Vaters ihrer zwei Kinder informierte. «Ich reichte sofort die Scheidung ein», sagt die Alleinerziehende im Gespräch mit SonntagsBlick.
Trotz des Gerichtsverfahrens macht Marco J. weiter: Im Sommer 2007, also noch vor seiner Verurteilung, nimmt er gezielt mit Pädophilen im In- und Ausland Kontakt auf. Schickt ihnen Bilder seiner eigenen Kinder, die damals acht und fünf Jahre alt sind. Er fotografiert sie nackt unter der Dusche oder mit entblösstem Oberkörper. Die Aufnahmen nutzt er, um Kontakte in der Szene zu knüpfen.
Mit seinen erwachsenen Internet-Bekanntschaften chattet und telefoniert er, masturbiert dabei. Laut Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Oberwallis vor allem dann, wenn seine Söhne bei ihm zu Besuch sind. J. drängt seine flüchtigen Online-Bekanntschaften zu Treffen und macht unmissverständlich klar: Er will Sex mit Minderjährigen, am liebsten mit Kindern im Alter zwischen einem und sechs Jahren.
Im November 2009 verabredet sich Marco J. mit einem seiner Chatpartner in einer Visper Bar. Dort zeigt er dem Mann mehrere Fotos von kleinen Jungen. Einer davon, ein etwa Dreijähriger, ist laut Anklage «nackt und kniend von hinten abgebildet». Er habe mit «diesem Fick-Ärschli» schon etwas gehabt, lässt J. seinen neuen Bekannten wissen.
J.s perverse Fantasien beschränken sich nicht nur auf Sex mit Kindern. Im Januar 2010 lernt er einen HIV-positiven Mann kennen – mehrmals kommt es zwischen den beiden zu Sex-Treffen. Dabei macht Marco J. dem Aids-Infizierten den Vorschlag, mit einem weiteren Bekann-ten ungeschützten Geschlechtsverkehr zu haben. Dem anderen habe er nichts von der Erkrankung erzählt. «No risk, no fun», meint Marco J. lapidar.
Was er nicht weiss: Die Polizei liest seine Sex-Chats und E-Mails mit. Auch sein Telefon wird angezapft. Die Abhörprotokolle füllen drei Bundesordner. Auch einen verdeckten Ermittler setzt die Polizei auf J. an.
Bevor es zum Sex-Treffen mit dem HIV-Positiven kommt – und damit möglicherweise zu einer schweren Körperverletzung –, schreiten die Ermittler ein: Am 24. April 2010 verhaftet die Polizei Marco J. Man nimmt ihn für sechs Wochen in Untersuchungshaft. Dann lassen ihn die Behörden wieder laufen.
Trotz Marco J.s Veranlagung, die den Behörden ab da bekannt ist, dürfen ihn seine Söhne regelmässig besuchen. Sie verbringen sogar ganze Wochenenden allein mit ihrem Vater.
Wurde die Mutter der Kinder vor ihrem Ex-Mann gewarnt? «Die Polizei hat Abklärungen vorgenommen, dann aber keine Massnahmen ergriffen», sagt sie gegenüber SonntagsBlick. Von den Nacktbildern ihrer Kinder wusste sie nichts. Sie habe angenommen, dass Marco J. nur wegen verbotener Pornografie angeklagt worden sei.
Gericht stufte Marco J. immerhin als gefährlich ein
Der Gerichtspsychiater Josef Sachs (67) kann das Vorgehen der Walliser Justiz nicht verstehen. «Offenbar besteht beim Täter ein grosses Rückfallrisiko», sagt er im Gespräch mit SonntagsBlick. «Bei der Entlassung aus der U-Haft hätte man Weisungen wie etwa ein Kontaktverbot zu den Kindern anordnen können.»
Doch die Untersuchungsbehörden sahen offenbar keine Gefahr. Fünf Jahre liessen sie Marco J. nach der Untersuchungshaft 2010 weitermachen. Erst 2015 reichte die Staatsanwaltschaft Oberwallis Klage ein. Ein weiteres Jahr verging, bis es schliesslich am 20. Januar 2016 vor dem Bezirksgericht Visp zum Prozess kam.
Das Gericht stufte Marco J. immerhin als gefährlich ein. In erster Instanz wurde er nicht nur zu zwei Jahren Gefängnis und einer vorhergehenden Therapie in einer geschlossenen Einrichtung verurteilt. Nach der Urteilsverkündung kam Marco J. auch gleich in Sicherheitshaft.
Schuldig gesprochen wurde er wegen der versuchten Anstiftung zu einer schweren Körperverletzung mit dem HI-Virus und wegen mehrfacher illegaler Pornografie.
Vom Vorwurf der sexuellen Handlungen mit Kindern und dem Versuch dazu sprach ihn das Gericht jedoch frei. Weil die Staatsanwaltschaft das Urteil angefochten hat, muss sich das Kantonsgericht Wallis nochmals mit Marco J. befassen. Sein Verteidiger wollte sich gegenüber SonntagsBlick nicht äussern.
Der Verein SchwuLeOb jedoch distanziert sich auf Anfrage von Marco J. «Er ist inzwischen von seinem Amt zurückgetreten», sagt eine Vertreterin des Vorstands. Nächste Woche kommen die SchwuLeOb-Mitglieder zusammen. Dann wird über die Zukunft des Vereins entschieden, der eng mit Marco J. verknüpft war. «Wir wollen einen Neustart», so die Frau aus dem Vorstand.
Warum dauerte das Verfahren gegen Marco J. so lange? Warum durften seine Kinder ihn ohne Aufsicht besuchen?
Auf diese Fragen gibt die Staatsanwaltschaft keine Antwort; sie verweist auf das hängige Verfahren. Auch die Kindesschutzbehörde Kesb kommentiert den Fall J. nicht – um das Amtsgeheimnis zu wahren.
Vereinskollegen und Angehörige zeigten sich froh über die SonntagsBlick-Recherche. Bisher wurde nicht über den Fall berichtet. Endlich wissen sie, was Marco J. vorgeworfen wird.
* Name der Red. bekannt