Maria K.* (22) spricht leise. Die dunkelhaarige, zierliche Frau aus dem Kanton Luzern wirkt scheu, fast ängstlich. Ein Schatten liegt über ihrem Leben. Maria leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung, muss sich von einem Psychologen behandeln lassen. Auslöser dafür: Im Januar 2009 wurde sie missbraucht – von einem katholischen Priester aus dem Bistum Basel.
«Ich war verzweifelt und habe bei der Kirche Hilfe gesucht», sagt Maria. «Doch der Pfarrer hat meine Not schamlos ausgenutzt.»
Maria ist damals 17. Sie ist vor ihrem Vater geflohen, der sie jahrelang geschlagen hat, lebt in einem Frauenhaus und weiss nicht mehr weiter. Nach ein paar Monaten will sie sich mit ihren Eltern versöhnen, beide gläubige Katholiken. Sie wendet sich an Priester P. A.* (53).
«Ich wusste, dass er meine Eltern kennt, und wollte ihn bitten, dass er mit meinem Vater spricht», sagt Maria. «Ich dachte: Wenn einer vermitteln kann, dann ein Pfarrer.»
«Ich hatte ein komisches Gefühl»
P. A. ist zu jener Zeit Seelsorger einer fremdsprachigen Mission im Bistum Basel. Auf Bildern zeigt er sich gern mit hohen kirchlichen Würdenträgern, mit Mutter Teresa, aber auch mit Politikern wie der ehemaligen Bundesrätin Micheline Calmy-Rey. «Ich habe ihm vertraut», sagt Maria. «Das war mein Fehler.»
Der Priester verabredet sich mit ihr zu einem Gespräch in einem Café. Dann lässt er sie in sein Auto steigen, bringt sie in seine Wohnung. «Ich hatte ein komisches Gefühl», sagt Maria. «Aber ich bin mitgegangen. Es war ja der Pfarrer!» Es ist der 26. Januar 2009.
Was dann passiert, kann Maria auch heute noch nicht erzählen. Sie zieht ein Blatt Papier aus ihrer Tasche und sagt: «Lesen Sie selbst.»
Vertrauensverhältnis ausgenutzt
Das Dokument ist ein Strafbefehl gegen Seelsorger P. A., wegen «sexueller Handlung mit Abhängigen». Die Justiz beschreibt darin, was der Priester Maria angetan hat.
«Der Beschuldigte hat sich in seiner Tätigkeit als Seelsorger der römisch-katholischen Landeskirche in seiner Privatwohnung auf seinem Sofa der Geschädigten angenähert, indem er sie im Gesicht, am Hals und bei geöffneter Bluse am Brustansatz küsste.» Dann habe P. A. sein Opfer auf sein Bett getragen, seine Hose geöffnet und die junge Frau missbraucht.
Weiter steht in dem Dokument: «Durch die sexuellen Handlungen nutzte der Beschuldigte das Vertrauensverhältnis zur Geschädigten aus, wobei diese nicht mehr fähig war, sich gegen den überlegenen Beschuldigten zur Wehr zu setzen.»
200 Franken Schweigegeld
Maria blickt zu Boden. Dann sagt sie, was nicht im Bericht der Justiz steht: «Der Pfarrer hat mich ausgelacht, als er merkte, dass ich noch Jungfrau bin. Und er gab mir nach dem Übergriff 200 Franken Schweigegeld – mit dem Hinweis, ich solle in meinem Kopf löschen, was ich gerade erlebt habe.»
Doch Maria kann nicht vergessen. Zu schwer wiegen der Missbrauch und die Rückschläge, die sie danach erleben musste.
Im Strafverfahren ist Priester P. A. teilweise geständig. Er bekommt eine bedingte Geldstrafe, dazu eine Busse von 1700 Franken. In einer aussergerichtlichen Einigung erkämpft Marias Anwältin 4000 Franken für die junge Frau. Sie versucht, sich ein neues Leben aufzubauen.
P. kündigte 2012
Doch die Vergangenheit holt sie erneut ein: Im Juli 2013 meldet sich das Bistum Basel erstmals bei Maria. Bischof Felix Gmür weiss zu diesem Zeitpunkt bereits über ein Jahr von den Vorwürfen gegen Priester P. A. Er hat sofort gehandelt, P. A. mit einem Arbeitsverbot belegt – und alle anderen Bistümer informiert. Seinen Job hat Priester P. A. zum 30. Juni 2012 von sich aus gekündigt.
Jetzt ermittelt das kirchliche Gericht der Diözese gegen den Priester. In einem Brief fragt der Offizial des Bistums Maria, ob sie am Vorwurf festhält, dass der Priester sie missbraucht habe. Maria bestätigt dies. Und erhält, vor zwei Wochen, einen weiteren, ernüchternden Brief aus Basel.
Ausgang bleibt für Maria ungewiss
Darin schreibt das Bistum, das Verfahren gegen P. A. müsse breiter angelegt werden, «was die Befragung einiger Zeugen nötig macht». Mit einem Urteil sei deshalb erst im ersten Quartal 2014 zu rechnen. Und: Es sei noch ungewiss, ob Maria über den Ausgang des Verfahrens orientiert werde. «Das hat mich am meisten getroffen», sagt Maria. «Ich habe doch ein Recht zu erfahren, was mit dem Mann passiert, der mich missbraucht hat!»
Das sieht man im Bistum Basel anders. «Da das Opfer im kirchlichen Prozess nicht Klägerin ist, kann es nur im Einverständnis mit dem Anwalt des Priesters informiert werden», sagt Bischofssprecherin Adrienne Suvada. Maria lebt und arbeitet heute im Kanton Luzern. Sie will aus der katholischen Kirche austreten, aber sie traut sich nicht. «Ich habe gehört, dass dann ein Priester für ein Gespräch zu mir nach Hause kommt», sagt sie. «Davor habe ich Angst!»
*Namen der Redaktion bekannt
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