Blutbad im Aargau: Am Samstag um 11.15 Uhr drehte ein 36-Jähriger in Würenlingen AG durch. In einem Wohnquartier erschoss er vier Menschen – und tötete danach sich selbst.
Der Täter: Semun A.* († 36), ein türkischstämmiger Schweizer aus Reichenburg SZ. Am Samstagabend fährt er mit dem Auto zum Langackerweg in Würenlingen. Dort leben seine Schwiegereltern Elisabeth († 59) und Karl L.* († 57) zusammen mit seinem Schwager Jonas L. († 31). Semun A. hat eine nicht registrierte Pistole bei sich. Das Auto stellt er in der Nähe eines Nachbargrundstücks ab.
Im Haus der Familie L. wird der dreifache Vater Semun A. zum Killer. Er erschiesst seine Angehörigen, lässt die Leichen im Haus liegen. «Die Familie wurde regelrecht hingerichtet», sagt ein Sprecher der Aargauer Kantonspolizei.
Auf dem Weg zu seinem Auto begegnet er Thierry K.* († 45), einem Nachbarn. Semun A. erschiesst auch ihn – und danach sich selbst.
Weitere Nachbarn werden Zeugen der Bluttat: «Ich hörte fünf Schüsse, ganz schnell hintereinander. Dann war kurze Zeit Ruhe, bevor ich nochmals mindestens drei Schüsse hörte», erzählt eine Frau. Ein anderer Nachbar sieht zwei Menschen tot zusammenbrechen.
Auch die Mutter von Thierry K. erlebt die Tat aus nächster Nähe. Als sie die Schüsse hört, schaut sie aus dem Fenster und erblickt den Täter auf der Strasse. Dann hört sie wieder Schüsse und sieht den Killer zusammenbrechen. Dass nur wenige Meter davon entfernt ihr Sohn tot am Boden liegt, weiss sie wohl nicht.
Forstwart Othmar Bächli (64) kannte beide betroffenen Familien, erledigte Gartenarbeiten für sie. «Wir stehen unter Schock, können nicht glauben, was passiert ist», sagt er. «Es waren alles so flotte, einfache Leute. Noch vor zwei Monaten habe ich Thierry die Hecke geschnitten.»
Ob Thierry K. seinen Killer Semun A. gekannt hat, ist unklar. Wahrscheinlicher ist, dass der verheiratete Vertriebsmitarbeiter ein Zufallsopfer war. «Ich kann mir vorstellen, dass er nur vor dem Haus eine Zigarette rauchen wollte», sagt Bächli. Oder wollte er wegen der Schüsse nach dem Rechten sehen?
Fest steht: Killer Semun A. war der Polizei bekannt. Der Arbeitslose wurde 2007 wegen Körperverletzung aktenkundig, 2012 wegen Drohung. 2015 wurde eine fürsorgerische Unterbringung angeordnet. Noch am 2. April durchsuchte die Polizei seine Wohnung nach Waffen. Ohne Erfolg. Rund zwei Jahre lang lebte Semun A. mit seiner Frau Elisa – die Supermarkt-Kassiererin ist die Tochter von Opfer Elisabeth L. – und drei gemeinsamen Kindern in einem Mehrfamilienhaus in Reichenburg SZ. Doch vor kurzem wurde Familie A. getrennt. Auch für
Elisa A. und die Kinder wurden laut Polizei fürsorgerische Massnahmen angeordnet. Die Kinder wurden fremdplatziert.
Semun A. war in seinem Wohnhaus berüchtigt. Nachbarn sprechen von einem Terrorregime: «Wir hatten alle Angst vor ihm», sagt eine Nachbarin. «Er hat uns immer wieder gedroht und uns angeschrien. Wir haben uns auch bei der Verwaltung beschwert. Aber es hiess, Pöbeln und Drohen seien keine Gründe für eine Kündigung.»
Ein anderer Nachbar ging einen Schritt weiter: «Aus Angst vor ihm haben wir unsere Wohnungstür mit einem Balken verbarrikadiert.» Regelmässig habe Semun A. Hausbewohner beschimpft. Besonders die Frauen mieden ihn. «Er sagte Sachen wie: ‹Du Sauschweizer, ich kriege dich.›»
Semun A. selbst hatte über seiner Eingangstür eine Kamera installiert. Seine Erklärung: «Ich werde bedroht.» Sein Bruder, so ein anderer Nachbar, habe immer wieder um Nachsicht für Semun A. geworben. Sein Bruder nehme Medikamente, sei depressiv. Warum der 36-Jährige schliesslich zum Killer wurde, ist aber unklar. Auch woher er die Waffe hatte. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen mehrfacher vorsätzlicher Tötung.
Das Dorf Würenlingen steht unter Schock. Es ist nicht die erste Bluttat in der 4000-Einwohner-Gemeinde (siehe Box rechts). «Wie kann so etwas in einem Quartier wie hier passieren?», fragt der katholische Seelsorger Guido Ducret (52). Anwohner riefen ihn gestern Morgen an. «Es ist schlimm, wenn man so etwas direkt vor der eigenen Haustür miterleben muss.»
Opfer Karl L., gelernter Detailmonteur, arbeitete im Forschungsinstitut Paul Scherrer. Und er spielte leidenschaftlich gern Fussball. Beim FC Turgi trauert man um das Klubmitglied: «Wir sind wahnsinnig traurig», sagt Mannschafts-Coach René Senn (59). «Karl war ein unglaublich lieber Mensch.»