BLICK-Serie: Krebs & Kinder
Deborah (17) gab ihr linkes Bein für ihr Leben

Vor zwei Monaten entschieden sich die Ärzte im Inselspital zur Amputation
Publiziert: 14.02.2012 um 19:38 Uhr
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Aktualisiert: 08.10.2018 um 14:38 Uhr
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Von Mario Gertschen

Gestern feierte Deborah Imwinkelried aus Obergesteln VS ihren 17. Geburtstag. Im November hatten ihr die Ärzte gesagt, dass sie diesen Tag wohl nur erlebt, wenn sie sich ihr linkes Bein amputieren lässt.

Der Albtraum begann mit ein bisschen Knieschmerzen. Als diese nicht vorbeigingen, konsultierte die junge Walliserin einen Arzt. Der glaubte an ein Hämatom. Er verschrieb ihr eine Salbe. Das war Ende Mai.

Plötzlich schwoll das Knie an. Am Ende wuchs eine Geschwulst aus dem Knie heraus, gross wie eine Faust. Da wurde der Arzt misstrauisch und liess eine Gewebeprobe machen. Am 8. September 2011 wurde das Mädchen aus Obergesteln VS mit ihrer ganzen Familie ins Inselspital Bern gerufen. Dieser Tag veränderte ihr Leben.

«Der Arzt im Inselspital teilte mir mit, dass ich ein Osteosarkom im linken Knie habe – einen bösartigen Knochentumor», sagt Deborah.

Krebs! Ein Schock für die ganze Familie. «Deborah musste direkt im Spital bleiben. Für mich war klar, dass wir sie nicht alleine lassen», sagt ihre Mutter Lydia (49). Sie, Deborahs Vater Werner (52), ihr Freund Patrick (21) sowie ihre Schwestern Angela (27) und Romina (18) wechselten sich ab, um ihr beizustehen.

Sieben Wochen lang folgte eine harte Chemotherapie nach der anderen. «Meine Haare fielen aus, ich litt unter Fieberschüben, hatte einen Krampfanfall und mir war oft speiübel», sagt Deborah. «Ich konnte kaum noch essen, musste alles wieder erbrechen. Mit 1,70 Meter wog ich gerade noch 44 Kilo. Durch intravenöse Ernährung und mit Hilfe einer Ernährungsberaterin konnte ich schliesslich wieder Gewicht zulegen.»

Natürlich hatte sie Angst. Aber Deborah ist ein tapferes Mädchen. Ende November wurden die schlimmsten Befürchtungen wahr. «Die Ärzte sagten mir, dass mein linkes Bein amputiert werden müsse.»

«Meine Mutter hielt mich in den Armen, wir weinten und ich schrie: ‹Ich will nicht, dass sie mir mein Bein abschneiden›», schildert sie den tragischen Moment. «Ich konnte nicht verstehen, warum so etwas ausgerechnet mir passiert.» In ihrer Familie gibt es keinen Fall einer Krebserkrankung.

Zehn Tage später, am 9. Dezember, nehmen ihr die Ärzte das linke Bein ab, knapp oberhalb des Knies. «Ich konnte den Stumpf nicht anschauen. Konnte anfangs nicht akzeptieren, dass der untere Teil des Beines fehlt», sagt Deborah. Eine befreundete Naturheilpraktikerin zeigt ihr jedoch, wie sie das Unvermeidliche  akzeptieren, ihr Bein wieder anschauen kann. Der Phantomschmerz aber bleibt: «Es fühlt sich an, als ob mein linker Fuss in der Tür eingeklemmt wäre.»

Nur wenn sie ihre Prothese trägt, ist es anders: «Ich darf sie aber nicht zu oft anziehen, da ich am Stumpf nichts spüre und es Druckpunkte geben könnte.» Ihre Mutter schüttelt den Kopf. «Es hat uns alle erstaunt, wie stark Deborah ist. Wie sie damit umgeht, baut auch uns auf.»

Deborahs Lehrstelle als Hotel- und Gastgewerbeassistentin, die sie am Tag nach der Diagnose hätte antreten sollen, wird für sie freigehalten. «Dafür bin ich sehr dankbar», sagt sie. Inzwischen ist sie wieder zu Hause, kann mit Hilfe der Krücken Treppen steigen und hilft ihrer Schwester Angela in der Pension/Restaurant ‹Zum Lärch›. «Sie ist extrem selbständig», sagt die Mutter.

Deborah erhielt viel Zuspruch von ihren Mitmenschen. «Die ganzen Karten, Geschenke und Anrufe haben extrem gut getan. Am meisten half mir aber, dass mein Freund Patrick zu mir hält», sagt Deborah. Er wich keinen Augenblick von ihrer Seite. Mit dem 21-Jährigen aus dem Fieschertal kam sie nur fünf Monate vor dem Schicksalstag zusammen. «Aber natürlich gibt es auch Momente, die weniger schön sind. Wenn Leute auf meinen Stumpf starren oder Menschen die Strassenseite wechseln, weil sie nicht wissen, was sie sagen sollen, ist das schon sehr ärgerlich.»

«Schlimm finde ich, dass die IV nicht für alle Kosten aufkommt, welche die Amputation mit sich bringt», sagt Mutter Lydia Imwinkelried. «Weil Deborah nicht an einem Geburtsgebrechen leidet und noch minderjährig ist, müssen wir den Rollstuhl, den WC-Stuhl und auch ein Provisorium für die Dusche aus der eigenen Tasche bezahlen. Dazu kommen die Reise- und Übernachtungskosten in Bern. Das ist eine Menge Geld. Zum Glück bezahlt die IV wenigstens die Perücke. Und hoffentlich auch die Prothese», sagt die 49-Jährige.

Am 9. Februar wurde Deborahs linker Lungenflügel auf Vernarbungen und Metastasen überprüft. Der Arzt fand rund 35 und entfernte diese mit Hilfe eines Lasers. Heute wird dasselbe mit dem rechten Lungenflügel gemacht. Danach muss sie noch Nachtherapien über sich ergehen lassen.

Deborah ist sich sicher, den Kampf gegen den Krebs zu gewinnen. Bilden sich in den nächsten fünf Jahren keine neuen Metastasen, gilt sie als geheilt.

Morgen: Joel (2) aus Täsch VS kämpft gegen die Leukämie.

Sechs Kinder und ihr Krebs-Schicksal

Der 15. Februar ist traditionell allen krebskranken Kindern gewidmet, es ist der internationale Kinderkrebstag. «Jährlich erkranken in der Schweiz rund 36 000 Menschen an der gefährlichen Krankheit. 200 davon sind Kinder», sagt Dieter Wüthrich von der Krebsliga Schweiz. Die am häufigsten auftretende Form ist Leukämie (Blutkrebs).

 

Anlässlich dieses besonderen Tages stellt BLICK ab heute in einer neuen Serie junge Menschen vor, die mit der Diagnose Krebs leben müssen.

 

Es sind Porträts der Hoffnung, Stärke, aber manchmal auch der Verzweiflung und Hilflosigkeit. Sechs Kinder und ihre Angehörigen berichten von ihrem Schicksal. Das älteste Kind ist siebzehn, das jüngste zweijährig. Von ihren Erlebnissen, Wünschen, Träumen und Plänen für die Zukunft können Sie hier täglich lesen.

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