Daniela Truffer (51) kam mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen zur Welt
«Heute würde man mich zum Bub umschnipseln»

Das Leid von Kindern ohne klares Geschlecht soll aufgearbeitet werden. Doch Betroffene wie die Zürcherin Daniela Truffer fühlen sich übergangen.
Publiziert: 23.10.2016 um 11:25 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 21:41 Uhr
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Bis heute fühlt sich Daniela Truffer verstümmelt.
Foto: Sabine Wunderlin
Caspar Pfrunder (Text) und Sabine Wunderlin (Fotos)

Als Daniela Truffer im Juni 1965 auf die Welt kam, war schnell klar: Dieses Kind ist anders. Sie hatte nicht die eindeutigen Geschlechtsmerkmale eines Jungen oder eines Mädchens. Die Ärzte identifizierten sie als Mädchen, im Alter von zehn Wochen entfernten sie die Hoden, später schnitten sie den Mikropenis zurück. «Meine Eltern wussten nicht, was die Ärzte machten», sagt die arbeitslose Büroangestellte aus Zürich. «Ich leide bis heute physisch und psychisch. Die Chirurgen haben mein Leben verpfuscht.»

Was sie den Eltern damals nicht sagten: Ihr Kind war intersexuell, früher nannte man es «Zwitter».

Ohne Absprache mit den Eltern

In der Schweiz kommen jedes Jahr etwa 100 Babys mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen zur Welt. In den 50er-Jahren begann man in Schweizer Spitälern, die betroffenen Kinder mit dem Skalpell zu «korrigieren», oft ohne Absprache mit den Eltern – und ohne dass die Kinder angehört wurden.

Wie ihr erging es Tausenden. Viele leiden ihr ganzes Leben lang, müssen Medikamente und Hormone nehmen wie Daniela Truffer: «Ich wurde als Kind verstümmelt.»

Mit ihrem Lebenspartner Markus Bauer (53) und der Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org kämpft sie nun dafür, dass die Geschichte der Zwangsoperierten aufgearbeitet wird. Mitte Oktober sprach der Schweizerische Nationalfonds eine halbe Million Franken für ein Projekt, in dem auch Ärzte des Zürcher Kinderspitals den Umgang mit Intersexuellen untersuchen sollen.

«Es braucht eine Wahrheitskommission»

Doch damit sind Daniela Truffer und ihre Mitstreiter nicht zufrieden. «Es braucht eine Wahrheitskommission», sagt sie. «Nicht Täterinstitutionen, die sich selbst aufarbeiten. Und dann auch entscheiden, was sie aufarbeiten wollen und was nicht.» Für Truffer ist klar: «Die Mehrheit der Studienverantwortlichen sind Ärzte, die am Kinderspital nach wie vor an derartigen Operationen beteiligt sind. Sie sind nicht objektiv.»

Die Projektverantwortlichen weisen die Vorwürfe zurück. Flurin Condrau (50), Professor für Medizingeschichte an der Universität Zürich, betont seine Unabhängigkeit als Wissenschaftler. «Die Zusammenarbeit mit dem Kinderspital Zürich ist sinnvoll.» Jürg C. Streuli (37), Kinderarzt und Ethiker: «Dank des Projekts können wir die zentrale Forderung der Betroffenen – eine historische Aufarbeitung – in den nächsten zwei Jahren erfüllen.»

«Wieder einmal hört man uns Betroffene kaum an»

Doch Daniela Truffer hat damit ein Problem: «Wieder einmal hört man uns Betroffene kaum an.» Und sie will weiter dafür kämpfen, dass Babys mit sogenannter Geschlechtervarianz so lange nicht operativ einem Geschlecht angeglichen werden dürfen, bis sie selber entscheiden können.

Juristisch scheint das klar. Die Zürcher Rechtsprofessorin Andrea Büchler (47) sagt: «Medizinisch nicht indizierte Operationen sind zu unterlassen, bis die betroffene Person selbst entscheiden kann. Das haben verschiedene internationale Gremien, aber auch die Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin festgehalten.»

Trotzdem führen viele Spitäler auch heute noch Operationen an betroffenen Babys durch. «Dabei ist es bei den meisten nicht lebensnotwendig, sondern hat schlicht psychosoziale Gründe», meint Truffer. Das Argument der Ärzte: Ein Kind, das mit einem eindeutigen Geschlecht aufwachsen kann, habe es leichter. Truffer sagt: «Das stimmt überhaupt nicht. Durch unnötige Operationen traumatisiert man die Kinder.»

«Die meisten Eltern wollen eine Operation»

In der Praxis ziehen heute die meisten Schweizer Kinderspitäler in solchen Fällen interdisziplinäre Teams zur Beratung bei. Am Kinderspital Zürich werden «geschlechtsvereindeutigende» Operationen nach wie vor auch bei Babys durchgeführt. Rita Gobet (60), Chefärztin Kinderurologie, bestätigt: «Die meisten Eltern wollen eine Operation. Wir machen dies aber nur nach individueller Be­urteilung des Kindeswohls.» 

Anders das Ostschweizer Kinderspital: «Wir operieren grundsätzlich nur bei medizinischer Notwendigkeit zur Erhaltung von Körperfunktionen», sagt Thomas Krebs, Leiter der dortigen Kinderchirurgie. «Psychosoziale Indikationen werden am Ostschweizer Kinderspital nicht gestellt.»

Die Operation von Daniela Truffer bezeichneten Ärzte in den Krankenakten später sogar selbst als Fehler – Daniela sei doch eher ein Bub. Doch da man sie zum Mädchen operiert habe, müsse man diesen Weg weitergehen. Truffer sagt: «Heute würden sie mich zum Bub umschnipseln. Aber das wäre genauso falsch.»

Was Intersexualität von Transsexualität unterscheidet

Intersexuelle Babys haben kein eindeutiges biologisches Geschlecht. Ihre Genitalien sind weder klar männlich noch klar weiblich ausgeprägt. So lässt sich etwa schwer bestimmen, ob sie einen Mikropenis oder eine vergrösserte Klitoris haben. Eine Studie geht bei 1000 Geburten von ein bis zwei Fällen aus. Intersexualität ist nicht mit Transsexualität gleichzusetzen. Bei der ist zwar das biologische Geschlecht klar, es stimmt aber nicht mit der gefühlten Geschlechtsidentität der oder des Betroffenen überein.

Intersexuelle Babys haben kein eindeutiges biologisches Geschlecht. Ihre Genitalien sind weder klar männlich noch klar weiblich ausgeprägt. So lässt sich etwa schwer bestimmen, ob sie einen Mikropenis oder eine vergrösserte Klitoris haben. Eine Studie geht bei 1000 Geburten von ein bis zwei Fällen aus. Intersexualität ist nicht mit Transsexualität gleichzusetzen. Bei der ist zwar das biologische Geschlecht klar, es stimmt aber nicht mit der gefühlten Geschlechtsidentität der oder des Betroffenen überein.

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