Bischofs-Sprecher schreibt Skandalbuch über Islamisten-Anschlag
«Islam und Terror auseinanderzuhalten ist absurd»

Giuseppe Gracia (49) ist Mediensprecher von Bischof Vitus Huonder (75) – und Schriftsteller. Sein neuer Roman handelt von einem Islamisten-Anschlag auf die Berliner Kulturszene. Wen will er damit provozieren?
Publiziert: 20.05.2017 um 15:27 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 01:05 Uhr
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Will mit seinem Roman provozieren: Giuseppe Gracia im Lesesaal der Kantonsbibliothek Vadiana St. Gallen.
Foto: Thomas Meier
Adrian Meyer (Interview) und Thomas Meier (Fotos)

«Wenigstens kann ich sagen, dass ich nicht feige gewesen bin, als man uns an dem Abend in Berlin, mit den hohen Gästen aus Politik und Kultur, hingerichtet hat.» Mit diesem Satz beginnt Giuseppe Gracias neuer Roman «Der Abschied» (ab sofort im Handel). Der 49-jährige Schriftsteller und Mediensprecher des Churer Bischofs Vitus Huonder (75) beschreibt darin den äusserst brutalen Anschlag auf eine Berliner Kulturveranstaltung. Vor laufender Kamera werden Kulturelle und Prominente – darunter ein Schweizer Tennisstar – von Islamisten enthauptet und erschossen. Der namenlose Ich-Erzähler wütet gegen den politisch korrekten Meinungs-Mainstream der vermeintlich Liberalen und kämpft mit dem persönlichen Schicksal seiner Frau, die Selbstmord begangen hatte. Starker Tobak!

BLICK: Herr Gracia, worauf sind Sie wütend?
Giuseppe Gracia: Es ist mehr eine Sorge. Wir überlassen öffentliche Kritik am Islam oder an der politischen Korrektheit den Angstmachern vom rechten Block. Derweil klären die Medien die Leser nicht mehr auf, sondern wollen sie erziehen. Diese Volkspädagogik regt mich auf.

Also sind Sie doch wütend.
Okay, stimmt. Ich vermisse eine echte Meinungsvielfalt in den grossen Medien. Wenn Menschen nicht mehr informiert, sondern nach bestimmten Gut-Böse-Einteilungen erzogen werden, was haben wir dann für Wähler an der Urne? Gehirngewaschene Marionetten.

Nichts provoziere vermeintlich Liberale mehr als Andersdenkende, steht zwischen den Zeilen Ihres Romans. Wen wollen Sie provozieren?
Möglichst alle, die eine starke Stimme haben können in der Diskussion über den Islam, jetzt aber schweigen aus Angst vor den politisch korrekten Oberlehrern. Dass man den Menschen nicht mehr zutraut, sich eine eigene Meinung zu bilden und nicht bloss dem Mainstream zu folgen, das ist doch traurig.

Drei Themen habe sein Buch, sagt Gracia. Die politische Korrektheit, unter welcher der Ich-Erzähler leidet. Der Wunsch nach einem Gottesstaat, also die Auslöschung der Freiheit durch Islamisten. Und der Arbeitsdruck, die Depression in einer globalisierten Gesellschaft, die bis zum Selbstmord führt – verkörpert durch die Figur Veronika, die tote Ehefrau des Erzählers.

«Ich hatte den Suizid meines Bruders nie verarbeitet – das habe ich mir nun von der Seele geschrieben»: Giuseppe Gracia.
Foto: Thomas Meier

Wie viele persönliche Erfahrungen stecken in Ihrem Buch?
Der Roman hat autobiografische Züge. Mein Bruder nahm sich vor zehn Jahren das Leben, er legte sich vor einen Zug. Genau wie die Figur Veronika. Es ist kaum möglich, mit so etwas zu leben. Darüber musste ich schreiben.

Was regte Sie zum Schreiben an?
Der Anschlag auf das Satiremagazin «Charlie Hebdo» Anfang 2015. Die Islamisten griffen die Freiheit des Geistes direkt an. Doch nach dem Anschlag wurde über Sicherheit, Integration, Polizei diskutiert. Aber nicht darüber, woher eigentlich der Hass der Islamisten auf den Westen kommt. Und was das mit uns zu tun hat.

Der Ich-Erzähler scheint den Terror als radikale Kritik am verlogenen Westen heimlich zu bewundern.
Die Islamisten halten uns den Spiegel vor. Osama Bin Laden hat den jüdischen US-Intellektuellen Noam Chomsky zitiert in seinen Videos, um zu begründen, warum der Westen so teuflisch sei. Linker Antikapitalismus und Islamismus, das passt im Buch gut zusammen, fand ich.

Was macht Sie wütender, die Islamisten oder unsere Reaktion darauf?
Als Kind des Westens kritisiere ich uns selber am härtesten. Der Westen hat eine zivilisatorische Perle hervorgebracht: die individuelle Freiheit, einen Massenwohlstand, den es noch nie gab. Das alles fusst auf der blutig errungenen Überzeugung, dass jedes Individuum für sich einen Wert hat. Wir beginnen, das aufzugeben. Weil wir angegriffen werden von Menschen, die damit nicht einverstanden sind.

Ist unsere Kultur dem Islam überlegen?
Ich weiss, wenn ich das sage, gelte ich für einige bereits als rassistischer Finsterling. Aber nach dem 30-jährigen Krieg im 17. Jahrhundert haben wir langsam zum säkularen Prinzip gefunden. Heute ist der Rechtsstaat kein Religionspolizist mehr. Und nun sehen wir eine Kultur, für die Staatsmacht und Religion zusammengehören.

Beim Argument, der Terror habe nichts mit dem Islam zu tun, schütteln Sie also den Kopf?
Das ist doch absurd. Wenn einer «Allahu Akbar» ruft und Leute abknallt und man sagt, das sei ein verwirrter Einzeltäter, habe ich Mühe.

Nichts treibt Gracia mehr um als die persönliche Freiheit. Als er in der SRF-«Arena» in der Rolle als Informationsbeauftrager des Bistums Chur sagte, es sei peinlich, wenn der Staat das Händeschütteln in Schulen per Gesetz vorschreibe und Bürger zum Anstand zwingen müsse, überraschte er nun alle, die in ihm bloss den Hardcore-Katholiken erwarteten.

Wir sprechen Verhaltensregeln aus als Reaktion auf den Islam. Den Handschlag etwa als Schweizer Wert.
Das ist für mich als Liberalen absurd. Der Staat muss keine moralischen Regeln verordnen. Er muss das geltende Recht rigoros durchsetzen.

Wie stark müssen sich Muslime unserer Kultur anpassen?
Sie müssen sich ans Gesetz halten. Das gilt für alle. Aber man darf nicht automatisch davon ausgehen, dass alle integriert werden wollen.

Buddhisten oder Hindus stellt man kaum Forderungen, Muslimen schon.
Das ist heuchlerisch. Trotzdem kenne ich keine Buddhisten oder Hindus, die sich in die Luft jagen.

Lässt sich mit gelungener Integration Dschihadismus nicht vermeiden?
Das ist naiv. Es gibt Menschen, die sind einfach gegen unsere Lebensform. Es gibt Väter, die nicht wollen, dass ihre Tochter unabhängig wird. Die wollen sie an den Cousin zwangsverheiraten. Das ändert sich nicht mit einem Sprachkurs.

Wie soll man diesen Menschen begegnen?
Wir müssen das geltende Recht durchsetzen und den Rechtsstaat verteidigen.

Trägt eine ungerechte Gesellschaft Mitschuld, wenn sich jemand radikalisiert?
Das ist der klassische, linke Minderwertigkeitskomplex. Zu sagen, wir sind so bös, so kapitalistisch, wir saugen die Dritte Welt aus – und nun schlagen die halt zurück.

Islamismus als postkoloniale Rache.
Nach dieser Logik müssten sich auch die Aborigines mit Sprengstoffgürteln in die Luft jagen. Das ist ein absurder Versuch, Islam und Terror auseinanderzuhalten. Weil die Linken in Muslimen ein Ersatzproletariat gefunden haben, das es zu retten gilt.

Gracia scheint enttäuscht von den Linken. Er sei lange selber ein Linker gewesen und für den Schutz der Schwachen. Doch derzeit verharmlose die Linke die Gefahren des Islams und betreibe politisch korrekte Sprachhygiene, statt jenen zu helfen, die den Islam reformieren wollen – und dafür viel riskieren.

Was halten Sie vom Burkaverbot?
Ich finde die Burka fürchterlich. Aber ein Verbot wäre nicht liberal. Die Bürger dürfen sagen, das ist Unterdrückung, ein Seich, das muss weg. Aber nicht der Staat.

Tritt an Ostern 2019 zurück: Bischof Vitus Huonder.
Foto: KEYSTONE/ARNO BALZARINI

Müssen wir Koran-Verteilungen aushalten?
Wir müssen alles aushalten, was nicht gegen das Gesetz verstösst.

Dabei ist heute jeder sofort beleidigt.
Unglaublich! Das ist nicht normal. Aushalten ist nicht mehr unsere Stärke. Toleranz ist ein Scheinbegriff geworden. Man weiss heute gar nicht mehr, wie es ist, einen Trottel auszuhalten. 

Warum ist echte Toleranz so schwierig?
Weil der Mensch sich selbst nicht vertraut und deshalb nach Institutionen ruft. Wir ertragen die Freiheit nicht und brauchen eine Obrigkeit, einen Gott-Ersatz. Heute haben wir in Europa ein therapeutisches Kalifat, wie es der Philosoph Michael Rüegg nennt. Anstatt Gott herrscht bei uns die Volkstherapie.

Sie beschäftigten sich für das Buch intensiv mit Anschlägen. Haben Sie seither mehr Angst vor Terror?
Ich denke daran, wenn ich in eine bekannte Stadt fliege. Ich bin dankbar für all die Sicherheitskontrollen. Auch bekannte öffentliche Räume, da wird mir mulmig.

Aber man kann sich doch deswegen nicht verkriechen?
Klar. Aber diese Sorgen habe ich halt. Sie verschwinden nicht einfach.

Die Stimme Huonders

Giuseppe Gracia wurde 1967 als Sohn eines sizilianischen Vaters und einer spanischen Mutter in St. Gallen geboren. Im dortigen Museumsquartier lebt er als Schriftsteller und Kommunikationsberater. Er hat mehrere Romane geschrieben und verfasst regelmässig Beiträge und Kolumnen für Schweizer Zeitungen. Zudem ist er Mediensprecher des umstrittenen Churer Bischofs Vitus Huonder, der sich mit seinen pointierten Positionen zu Homo-Ehe, Frauen im Priesteramt oder zur modernen Liturgie zum Feindbild liberaler Katholiken gemacht hat. Kirchlichem Recht folgend hat Huonder zu seinem 75. Geburtstag dem Papst den Rücktritt angeboten, doch nun bleibt er weitere zwei Jahre im Amt.

Giuseppe Gracia wurde 1967 als Sohn eines sizilianischen Vaters und einer spanischen Mutter in St. Gallen geboren. Im dortigen Museumsquartier lebt er als Schriftsteller und Kommunikationsberater. Er hat mehrere Romane geschrieben und verfasst regelmässig Beiträge und Kolumnen für Schweizer Zeitungen. Zudem ist er Mediensprecher des umstrittenen Churer Bischofs Vitus Huonder, der sich mit seinen pointierten Positionen zu Homo-Ehe, Frauen im Priesteramt oder zur modernen Liturgie zum Feindbild liberaler Katholiken gemacht hat. Kirchlichem Recht folgend hat Huonder zu seinem 75. Geburtstag dem Papst den Rücktritt angeboten, doch nun bleibt er weitere zwei Jahre im Amt.

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