Der Hungerstreik des inhaftierten Bieler Rentners, Peter Hans Kneubühl, ist für Behörden und Psychiatrie im Kanton Bern eine heikle Angelegenheit. Notfalls würde der Kanton Bern Kneubühl aber zwangsernähren.
Mit seinem Hungerstreik will Kneubühl eine Rückverlegung von der Strafanstalt Thorberg ins Regionalgefängnis Thun erzwingen. Aktuell befindet er sich seit einer Woche auf der Station Etoine der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD). Die Station ist extra für Häftlinge eingerichtet.
Trotz mehreren Wochen ohne Nahrung gehe es dem Rentner den Umständen entsprechend gut, sagte Werner Strik, Direktor der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der UPD, am Dienstag vor den Medien.
Kneubühl sei natürlich geschwächt und habe mindestens zehn Kilo Gewicht verloren. In ein, zwei Wochen dürfte die Situation für den 74-Jährigen aber kritisch werden.
Gemeinsame Lösung gesucht
Die Berner Behörden und die Psychiatrie sind bestrebt, die heiklen Fragen rund um Kneubühls Hungerstreik im Dialog zu lösen.
Im Kanton Bern will man verhindern, dass es so weit kommt wie vor Jahren im Fall des Walliser Hanfbauern Bernhard Rappaz. Damals weigerten sich die Ärzte aufgrund ihrer Überzeugung, die von den Behörden verfügte Zwangsernährung vorzunehmen.
«Wir wollen nicht dort die Justiz, hier die Medizin. Wir wollen die Sache gemeinsam lösen», betonte Thomas Freytag, Leiter des bernischen Amtes für Justizvollzug, am Dienstag vor den Medien in Bern.
Hungerstreik wird eigentlich respektiert
Rechtlich gesehen, wird im Kanton Bern der Hungerstreik von Häftlingen respektiert, solange sie urteilsfähig sind. Liegt eine Patientenverfügung vor, wird diese befolgt, wenn der Häftling nicht mehr urteilsfähig ist.
Eine Patientenverfügung hat Kneubühl laut Strik nicht erlassen. Das heisst im Klartext, dass der Kanton Bern Kneubühl wohl im Notfall zwangsernähren würde.
Im Fall von Kneubühl ist die Sache doppelt verzwickt, weil der Mann von der Justiz als nicht schuldfähig taxiert wurde. Der Rentner ist gebildet und intelligent und über weite Strecken urteilsfähig, wie Freytag und Strik betonten. Doch die Urteilsfähigkeit erstrecke sind eben nicht auf alle Belange.
Rentner kommt aus Teufelskreis nicht raus
Kneubühl sei seit Jahrzehnten in einem Geflecht eigener Überzeugungen verstrickt. Aus diesem Teufelskreis komme der Rentner nicht mehr alleine heraus.
Strik und Freytag sind überzeugt, dass der Bieler Rentner nicht über genügend Urteilsvermögen verfügt, um die Wirkung seines Hungerstreiks einzuschätzen. Kneubühl wolle nicht sterben, betonte der Klinikdirektor. Der Mann versuche, mit dem Hungerstreik etwas zu erreichen, das objektiv unrealistisch sei.
Behörden und Justiz hoffen, Kneubühl auch ohne Zwangsernährung aus dem Teufelskreis heraushelfen zu können. Strik sieht sogar einen Hoffnungsschimmer, endlich zu Kneubühl durchzudringen. Dies könnte gelingen, wenn der Rentner seine «Fähigkeit in Varianten zu denken» wiederentdecken könnte.
Dafür bräuchten Rentner und Psychiater genügend Ruhe für die Therapie. Deshalb wurde ein Kontaktverbot erlassen. Einen Anwalt könnte Kneubühl dennoch kontaktieren, wenn er wollte. Bisher lehnte er dies aber stets ab. Auch Kontakt zu einem alten Bekannten, der Kneubühl gelegentlich besucht habe, will Strik demnächst herstellen.
Kneubühl habe sich «etwas geöffnet»
Aktuell werde versucht, Kneubühls Motivation für den Hungerstreik auszuleuchten, berichtete Strik, der vom Rentner explizit vom Arztgeheimnis entbunden worden war. Dazu habe sich der Mann etwas geöffnet. Ziel sei, sich ihm therapeutisch zu nähern und im Idealfall eine Art Verhandlungslösung zu erzielen.
Der Rentner bekommt laut Strik einen Stimmungsstabilisator, aber keine starken Medikamente, die seine Denk- und Willensfähigkeit einschränken würden. Kneubühl ist laut dem Klinikdirektor so klar und willensstark, dass eine schwerwiegende Einschränkung durch Therapeutika die ganze Therapie zerstören könnte.
Der heute 74-jährige Rentner hielt vor sechs Jahren die ganze Schweiz in Atem. 2010 sollte Kneubühls Haus in Biel zwangsversteigert werden. Als die Polizei anrückte, schoss er und verletzte einen Mann sehr schwer.
Nach tagelanger Flucht konnte der Rentner schliesslich gefasst werden. Die Gerichte taxierten Kneubühl als schuldunfähig, weil er an einem Wahn leide. Er wurde zu einer stationären therapeutischen Massnahme verurteilt. Das ist der Grund, warum er nach wie vor in Haft ist. (SDA)