Über das eben angebrochene neue Jahr können sich Felipe (14), Arlind (17) und der kleine Yamil (5) nicht so richtig freuen. 2014 müssen die drei Minderjährigen ihre Schweizer Heimat verlassen. Sie riskieren, von der Polizei ihren Müttern buchstäblich aus den Armen gerissen zu werden. Felipe aus Brasilien und der von seinem Vater einst in den Kosovo entführte Arlind leben beide in der Schweiz und sind bestens integriert. Trotzdem wollen sie die Behörden in ihre Herkunftsländer ausschaffen.
Der Tessiner Dreikäsehoch Yamil muss gar die Schweiz verlassen, weil sein andalusischer Vater das Besuchsrecht in Südspanien wahrnehmen darf. So haben es Schweizer Richter entschieden (BLICK berichtete).
Der Zürcher Anwalt Bruno Steiner (65) findet dafür nur ein Wort: Hartherzig. Steiner war selber Richter und Staatsanwalt. Jetzt hat er den Fall Felipe Hug übernommen – und redet Klartext: «Die Richter führen Krieg gegen Kinder. Mir sind diverse Fälle bekannt, in denen ein Gericht klar gegen das Kindeswohl entschieden hat.» Im Fall von Felipe sei die Situation besonders drastisch: «Der Bub hat in Brasilien effektiv keine Bleibe. In der Schweiz jedoch eine liebevolle, mustergültig integrierte Familie, die faktisch zur Selbstauflösung gezwungen wird, seine brasilianische Mutter, sein Schweizer Stiefvater, und sein Halbbruder Kevin.»
Ein Kind als ausländerrechtlicher Risikofaktor
Offizielle Begründung des richterlichen Entscheids: Das Gesuch um Familiennachzug sei 2011 drei Monate zu spät eingereicht worden. Anwalt Bruno Steiner sagt: «Felipe wird nicht als kindliches, menschliches Wesen behandelt, sondern als ausländerrechtlicher Risikofaktor.»
Das Problem sieht Steiner nicht bei den Gesetzen, sondern bei den Richtern. «Das gesetzliche Regelwerk ist richtig und im Sinne der Verfassung anzuwenden», sagt Steiner. Und die ist klar: «Das Wohl des Kindes hat oberste Priorität. Kinder und Jugendliche haben einen Anspruch auf Schutz ihrer Unversehrtheit, auf Förderung ihrer Entwicklung und ein Recht auf Familie. Das sagt auch die Kinderschutz-Konvention.»
Die Gerichte aber redeten sich heraus: Es sei mit dem Wohl des Kindes durchaus vereinbar, wenn es im Ausland lebe und fremdbetreut werde. «Solche Urteile», sagt Steiner, «sind in ihrem Kern politisch, kinder- und fremdenfeindlich. Und sie schaden dem Ansehen der Schweiz, die keine Gelegenheit auslässt, sich im Ausland als Hort der Menschenrechte zu preisen.» Dabei, findet Steiner, sollten wir zuerst vor der eigenen Türe kehren.