Mouthana A.* (38) kommt aus dem Irak. Vater und Bruder hat er im Krieg verloren. In Bagdad studierte er Geschichte, dann zwangen ihn die Bomben 2003 zur Flucht. Jetzt sitzt A. in einem orange-gestrichenen Zimmer mitten in Aadorf TG und hört Prostituierten bei der Arbeit zu.
«Es ist laut hier», beschwert sich der Iraker. «Wir hören von unten so viele Stimmen, besonders am Wochenende machen die Leute bis morgens Lärm.»
Mouthana A. ist einer von elf Asylbewerbern aus muslimischen Ländern, die die Gemeinde Aadorf über einem Puff einquartiert hat – dem seit knapp 20 Jahre bestehenden «Erotikhotel Venus». An der Bar im Erdgeschoss bedienen sieben Damen aus Ungarn und Rumänien ihre Gäste. Im ersten Stock bieten sie den Männern Sex-Dienste an, während in der zweiten Etage Asylbewerber bei einer Tasse Schwarztee zusammensitzen. Nur das Treppenhaus trennt die Prostituierten von den Flüchtlingen.
Am Bartresen im Erdgeschoss steht die 47-jährige Pächterin. «Frau Wyss» möchte die Kroatin genannt werden, die noch zwei weitere Kontaktbars betreibt. Gegenüber der Bar steht eine Strip-Stange. Die Vorhänge dahinter sind mit roten Herzen geschmückt. Das Licht ist schummrig. «Es schadet meinem Geschäft, wenn Kunden hören, dass hier Asylbewerber leben», klagt Frau Wyss.
«Erst Mitte Januar sind meine Damen und ich hierher gekommen. Ein paar Tage später sind die Asylbewerber eingezogen. Das hatten wir vorher nicht gewusst.» Um den Tresen sitzen ihre Damen in knappen Outfits und kichern. Die Chefin hat ihnen nahegelegt, Distanz zu den Asylbewerbern zu wahren – damit sie sich tagsüber ausruhen können und nachts fit sind. Weil Frau Wyss weiss: «Meine Frauen hier sind keine Engel.» Leicht einzuschüchtern sind sie nicht.
Der Mann, der die Idee zu der seltsamen WG hatte, heisst Beat Schlierenzauer. Er leitet die Sozialen Dienste in Aadorf und inspizierte die Zimmer persönlich. Urteil: «Sie entsprachen genau unseren Vorstellungen. Natürlich haben sie noch einen gewissen Puffgeschmack, aber im Gegensatz zu den Durchgangsheimen leben die Asylbewerber hier relativ feudal.»
Die Entscheidung für das Bordell traf Schlierenzauer aus Mangel an Alternativen. «Wir haben zuerst bei Mietwohnungen angefragt, aber nur Ablehnungen bekommen», sagt er. Doch der Druck vom Kanton, Asylbewerber aufzunehmen, stieg. Dass das Bordell in Betrieb ist, wusste Schlierenzauer angeblich nicht. Der Besitzer – der gegenüber SonntagsBlick nicht Stellung nehmen wollte – habe ihm gesagt, dass nur die Bar geöffnet bleibe. Trotz Puffbetrieb verteidigt Schlierenzauer seine Idee: «Die Bar ist separiert von den Zimmern der Asylbewerber.» Man habe bewusst keine Frauen und Kinder einquartiert. Und die Asylbewerber in der Schweiz seien ohnehin nicht so religiös. «Bis jetzt gab es keine Beschwerden.»
Auch Bernhard Koch (CVP), Thurgauer Regierungsrat, hat nichts auszusetzen. «Wenn ein Asylbewerber mit seiner Unterkunft nicht zufrieden ist, kann er sie überprüfen lassen», sagt Koch. «Aber die Menschen leben in der Schweiz und müssen sich an unsere Regeln gewöhnen. Und Prostitution ist hier legal.»
Die Asylbewerber wissen, was die Damen treiben. Viel darüber reden möchten sie aber nicht. Es ist ihnen fremd. Unangenehm. Die Pächterin sagt, dass sie die Männer wegrennen hört, wenn sich die Tür der Bar öffnet. «Hauptsache, ich muss die Arbeit nicht machen», sagt Mouthana A. Man grüsse sich und habe sonst keinen Kontakt. Davod M.* (29) aus Afghanistan lächelt verlegen und sagt, die Wohnung vorher sei besser gewesen. Man habe aber «grössere Probleme als die Frauen»: keinen Job, keine Winterkleider.
Trotzdem meiden die Männer das Treppenhaus. «Nur manchmal beugt sich einer übers Geländer und ruft Hallo», sagt Irina (21) aus Rumänien. «Aber Probleme haben wir keine.»
Pächterin Wyss ist noch skeptisch. Aber sie lobt auch. «Die Asylbewerber haben sogar die richtigen Müllsäcke gekauft», sagt sie. Zwar träfen hier extreme Gruppen aufeinander, aber beide gäben sich Mühe. «Ich glaube, die Männer haben mehr Angst vor uns als wir vor ihnen.»
*Namen der Redaktion bekannt