1 Jahr nach dem Mord am kleinen Dylan
Jetzt spricht der Grossvater

Othmar Stäheli (70) half seiner Tochter, als sie mit ihrem schwerkranken Baby flüchtete. Ein Jahr nach dem Drama macht er reinen Tisch.
Publiziert: 17.01.2015 um 12:35 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 20:15 Uhr
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Das erste Versteck Hinter dieser Balkon-Ecke stand Katit-Stäheli als am 24. Dezember 2013 die Polizei in der Wohnung des Vaters auftauchte.
Foto: Valeriano Di Domenico, Kapo ZH
Von Michael Spillmann

Das Messer liegt versteckt in den frischen Windeln, in der Babytasche. Als Katharina Katit-Stäheli (41) Baby Dylan im Spital baden darf, tötet sie den Kleinen und schneidet sich die Kehle auf. Vor einem Jahr suchte die Polizei nach der Veganerin. Die radikale Gegnerin der Schulmedizin meinte, sie müsse ihr Kind vor den Ärzten schützen. In Spanien endet die Flucht.

Zum ersten Mal nach dem Drama spricht ihr Vater Othmar Stäheli (70). Er erzählt, wie er der Tochter bei der Flucht half. Wie er in Haft kam, dort vom Tod Dylans erfuhr. Und wie das Wiedersehen mit der Tochter im spanischen Gefängnis war.

Dylans Odyssee 

Die Verfügung von Anfang Dezember 2013 ist superprovisorisch. Baby Dylan muss ins Kinderspital Zürich, der Mutter wird die elterliche Obhut entzogen. Dylan leidet an einem Hydrozephalus, einem Wasserkopf. Laut Ärzten könnte er ohne Behandlung sterben. Katit-Stäheli will davon aber nichts wissen. Am 3. Dezember tauchen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) sowie die Polizei bei Katharinas Vater im Zürcher Unterland auf. «Sie sagten mir, sie suchten sie», sagt Stäheli. «Ich wusste nicht, wo sie war.»

Katit-Stäheli ist in Tschechien, holt dort im Spital eine Zweitmeinung ein. Am 12. Dezember sind die Untersuchungen abgeschlossen, sie kehrt in die Schweiz zurück. «Die Ärzte sagten ihr, Dylan sei nicht in Lebensgefahr». Die Zürcher Ärzte bieten seine Tochter wieder auf. Aber: «Katharina sagte mir, sie sei lange genug im Spital gewesen. Es war klar: Niemand bringt sie dorthin.»

Am 23. Dezember fährt am Zweitwohnsitz von Katit-Stäheli in Waldshut (D) die deutsche Polizei vor, eine Ambulanz bringt die Frau samt Baby zur Grenze. Die Schweizer fahren sie ins Kinderspital.

Das Versteck

Sie bleibt nur Stunden. Heiligabend, 2.15 Uhr: Die Mutter verschwindet mit Dylan aus dem Spital, nimmt sich ein Taxi. «Mitten in der Nacht stand sie plötzlich mit dem Baby vor der Tür», sagt Stäheli. Seine Tochter geht zum Fenster. «Die Polizei kommt gleich», sagt sie. Zwei Stunden später läuten Polizisten. Stäheli sagt durch die Gegensprechanlage: «Zu dieser Zeit muss ich nicht aufmachen.»

Um 7.30 Uhr sind die Beamten wieder da. Sie kommen hoch, stehen in der Stube. «Ich weiss nicht, wo meine Tochter ist», habe er gesagt, so Stähelin. Dabei steht sie mit dem Baby hinter einer Ecke auf dem Balkon. Die Beamten gehen wieder, Tochter und Enkel bleiben unentdeckt – tagelang. Täglich meldet sich die Polizei bei Othmar Stäheli – er schweigt. Im Haftbefehl steht später: «Es besteht der Verdacht», dass er seine Tochter «beherbergte, obwohl er wusste, dass sie polizeilich gesucht wird.» Dreimal wird laut Akten ihr Handy geortet.

Vater und Tochter reden über eine mögliche Flucht. «Ich muss weg, in den Süden, ans Meer», sagt Katit-Stäheli. Der Vater hilft. Am 27. Dezember kauft er ihr ein Handy, löst eine SIM-Karte. Schliesslich lässt er seinen Cherokee-Jeep in der Garage fahrtüchtig machen.

Flucht in den Süden

Am 7. Januar 2014 fährt seine Tochter los. Hätte er sie nicht umstimmen, sie aufhalten müssen? «Ich wusste, dass Katharina keine andere Möglichkeit sah.Ich akzeptierte ihren Entscheid.»

Zwei Tage übernachtet Katit-Stäheli in Lyon (F), sie meldet sich. Später ruft sie aus Südfrankreich an. Am 9. Januar folgt ein Mail aus Ljubljana, der Hauptstadt Sloweniens, eine falsche Fährte für die Polizei. Dann bricht der Kontakt ab. Am 16. Januar spricht Stäheli seiner Tochter auf die Combox. Am nächsten Tag käme ihr Bild im Fernsehen, die Polizei gebe eine Fahndung raus. «Ich würde es wieder tun», sagt Stäheli. «Ich wollte sie schützen, eine Hatz verhindern. Aber die war leider schon im Gange.» Jetzt wird international nach seiner Tochter gesucht.

Tränen hinter Gittern

Die Polizei kommt am 21. Januar um 6.30 Uhr zu Stäheli. Sie beschlagnahmt Computer, Briefe, Unterlagen. Othmar Stäheli muss mit auf den Posten kommen. Dort nimmt die Polizei seine Fingerabdrücke und macht eine DNA-Probe. Er kommt in U-Haft wegen Begünstigung. «Ich fühlte mich wie in einem falschen Film. Ich dachte, dass ich nicht lange bleiben muss, vielleicht ein paar Stunden.» Ein Irrtum.

Seine erste Nacht in der Einzelzelle: «Mir ging alles durch den Kopf.» In der zweiten Nacht wird seine Tochter mehr als 1500 Kilometer entfernt gefasst.

Die Flucht endet in einem Carrefour-Einkaufszentrum in Torrevieja, an der spanischen Costa Blanca. Die Polizei bringt sie ins Spital. Dort schneidet Katit-Stäheli dem Baby die Kehle durch und versucht, sich zu töten.

Am 23. Januar holen Aufseher Othmar Stäheli morgens aus der Zelle, bringen ihn in einen Raum. Dort warten ein Polizist und ein Psychologe. «Sie sagten, dass meine Tochter gefunden wurde, dass sie den Kleinen getötet hätte. Ich hatte befürchtet, dass es mit dem Schlimmsten enden könnte. Nur wusste ich nicht, was es sein würde.» Seine Tochter überlebt schwer verletzt.

«In der Zelle weinte ich, schlug den Kopf gegen die Wand», sagt Stäheli. Eine Seelsorgerin kommt, Vorwürfe macht er sich keine. Er schreibt seiner Tochter. Er wisse, sie habe sich einen anderen Ausgang gewünscht. «Ich hoffe, wir sehen uns wieder. Ich stehe zu dir.» Er fragt nach ihrem Zustand. «Sie sei im Koma. Ich hatte Angst.»

Besuch bei der Tochter

Am 28. Januar kommt er frei. Das Verfahren läuft weiter – bis heute. Er ruft im Spital an. «Katharina erwachte gerade aus dem künstlichen Koma.» Wochen später kommt sie ins Gefängnis Foncalent, 50 Kilometer südlich von Torrevieja.

Dann der erste Brief. «Sie sagte, sie möchte bei Dylan sein», sagt Stäheli. Wegen der Suizidgefahr darf Katit-Stäheli im Frauenknast nichts alleine machen. Anfang März 2014 das erste Telefonat. «Ein emotionaler Moment», sagt Stäheli. Sie reden nur über Gefängnisprobleme.

Anfang Mai der erste Besuch. Stäheli fliegt nach Spanien, fährt mit einem Taxi zum Gefängnis. «Wir nahmen uns in den Arm. Sie war braun gebrannt.» Vater und Tochter reden zwei Stunden, er bringt ihr Kleider und Geld. Die Veganerin kauft sich Sojamilch. «Sie sagte, sonst würde sie verhungern.» Denn sie will sich nicht dem Knast-Essen anpassen. Katit-Stäheli geht in einen Spanischkurs. Beim dritten Mal ist sie allein, der Kurs wird aufgelöst. Sie spielt Schach – und wartet auf ihren Prozess. «Sie ist ohne Perspektive. Sie weiss, dass sie lange im Gefängnis bleiben muss», sagt ihr Vater. «Aber sie ist sich ihrer Schuld nicht bewusst.»

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