Der gefallene Unia-Stargewerkschafter Roman Burger gebärdete sich als Boss, wenn es um seine Mitarbeiterinnen ging. Wie ein mittelalterlicher Fürst. Innerhalb der Unia Zürich-Schaffhausen fragten sich die Frauen, ob sie mit Burger ins Bett gehen müssen, wenn sie eine Chance auf Karriere haben wollten. «Es gab immer wieder Gerüchte, Roman Burger habe Affären mit dieser und jener Mitarbeiterin», sagt eine Gewerkschaftssekretärin der linken «Wochenzeitung».
Am Donnerstag letzter Woche trat der Regionalleiter der Unia Zürich-Schaffhausen, unvermittelt zurück. Kurz nachdem BLICK die Unia-Leitung in Zürich angefragt hatte, welche Konsequenzen sie aus einem unabhängigen Untersuchungsbericht ziehe. Dieser hatte Vorwürfe gegen Burger wegen sexueller Belästigung abgeklärt und ihn zumindest in einem Fall als Täter identifiziert.
Unia-Leitung wollte Affäre vertuschen
Wenn jetzt ausgerechnet die linke «Wochenzeitung» Hintergründe zum chauvinistischen Führungsstil Burgers publik macht, entbehrt das nicht einer gewissen Ironie: Bisher hatten vor allem rechte Blätter, allen voran die «Weltwoche», versucht, Burger zu demontieren. Vergeblich. Der brisante Artikel, der am Donnerstag in der «WoZ» erscheint, könnte aber auch zu einem Problem für die Unia-Leitung werden.
Die Zeitung hat mit einem Dutzend ehemaligen und aktiven Unia-Mitarbeitern gesprochen. Nun wird erstmals auch klar, wie es dazu kam, dass überhaupt eine interne Untersuchung gegen Burger in Gang kam. Und vor allem auch, wie die Unia-Leitung verzweifelt versuchte, die Affäre im Interesse von Burger unter dem Deckel zu halten.
Bisher war nur bekannt, dass zwei Frauen Vorwürfe gegen Burger erhoben hatten. In der offiziellen Kommunikation sprach man von einem «Austausch von SMS-Textnachrichten, der von einer Mitarbeiterin als sexuelle Belästigung empfunden» worden sei.
SMS-Opfer beschwert sich bei der falschen Person
Gemäss den Recherchen begann die Geschichte bereits vor eineinhalb Jahren. «Eine Mitarbeiterin wandte sich im Vertrauen an ihre direkte Vorgesetzte und erzählte, sie habe SMS von Burger erhalten, die ihr sehr unangenehm seien. Dann passierte längere Zeit nichts.
Was die Betroffene nicht wusste: Zu jenem Zeitpunkt hatte ihre Vorgesetzte eine Affäre mit Regionalleiter Burger, der auch in seiner Funktion als Bereichsleiter Vorgesetzter beider war.
Mitglieder der regionalen Geschäftsleitung hätten von den Gerüchten gehört: «Die haben das aber als Privatsache heruntergespielt. Keine Ahnung, ob die schon einmal etwas von Abhängigkeitsverhältnissen gehört haben», so eine Quelle. Eine andere Person sagt: «Bei der Geschäftsleitung war der Tenor: So was geschieht doch immer mal wieder, tut nicht so bieder.»
Weitere Frau fühlte sich im Ausgang körperlich belästigt
Im April dieses Jahres bekommt eine andere Angestellte die SMS-Geschichte mit. Daraufhin erzählt diese, wie sie sich eines Abends im Ausgang von Roman Burger körperlich sexuell belästigt gefühlt habe. Damals war sie erst drei Wochen bei der Unia und erst Mitte zwanzig.
Der «WoZ» sagen Arbeitskolleginnen und -kollegen, die Frau habe lange geschwiegen, auch im Bewusstsein, dass Ereignisse, die unter vier Augen geschehen, schwierig zu belegen sind. Im Bericht sollte es laut Unia später heissen, dass weder eine sexuelle Belästigung noch eine Fehlbeschuldigung vorgelegen habe.
Hübsch, wie die Redaktoren dann aufzeigen, wie sich offizielle Darstellung der Unia-Leitung stark von jener der Angestellten, die die «WOZ» befragt hat, unterscheidet.
Die Version von oben: «Die Geschäftsleitung der Unia hat die Vorwürfe unverzüglich durch die externe und neutrale Fachstelle BeTrieb abklären lassen», heisst es in einem internen Mail, das vor zwei Wochen verschickt wurde. Absender: Nico Lutz, der in der nationalen Geschäftsleitung für die Region Zürich zuständig ist.
Version der Mitarbeiter tönt anders
Die Version von unten: Nico Lutz habe zusammen mit Roman Burger massiv Druck aufgebaut, die Angelegenheit intern zu klären. Auch habe gar nicht Lutz die externe Untersuchung angeregt. Es seien Unia-Mitarbeiter aus dem unteren Kader gewesen, die sich ein erstes Mal Anfang des Jahres und dann wieder im April an die externe Fachstelle BeTrieb gewandt hätten, wie es in dem gut recherchierten Artikel weiter heisst.
Die externe Untersuchung lief dann laut der «WoZ» von Ende April bis Anfang August. Die beiden betroffenen Frauen waren in dieser Zeit abwesend, Roman Burger hingegen wurde nicht etwa bis zum Ende der Untersuchung suspendiert, sondern erschien weiterhin zur Arbeit und nahm auch weiterhin an den Sitzungen der regionalen Geschäftsleitung teil.
Er besuchte sogar persönlich die Teams, um sie zu informieren, dass Vorwürfe gegen ihn erhoben worden seien. Würde ein normaler Arbeitgeber bei Vorwürfen wegen sexueller Belästigung so handeln, ein öffentlicher Protest der Unia wäre wohl vorprogrammiert.
Unia-Leitung wollte Burger unter allen Umständen behalten
Unia-interne E-Mails aus der Zeit der Untersuchung, die der «WoZ» vorliegen, zeichnen ein ähnliches Bild. Sie lassen keinen Zweifel daran, dass Burger die Angelegenheit überstehen würde.
Am 5. August erhält Nico Lutz den externen Bericht, am 23. August dürfen ihn die betroffenen Frauen lesen – unter Aufsicht, um sicherzugehen, dass sie keine Fotografien anfertigen. Selbst ein Grossteil der Geschäftsleitung in der Berner Zentrale habe ihn nicht zu lesen bekommen. Lutz stellt die Untersuchungsergebnisse mündlich vor und lässt das weitere Vorgehen absegnen.
Am 5. September informiert Nico Lutz die Zürcher und Schaffhauser Mitarbeiter offiziell über die Untersuchungsergebnisse. Im E-Mail heisst es: «In einem Fall kommt der Bericht zum Schluss, dass keine sexuelle Belästigung vorliegt. Eine absichtliche Fehlbeschuldigung wurde ebenfalls verneint. Im zweiten Fall bestätigt der Bericht das Vorliegen einer verbalen sexuellen Belästigung im Rahmen eines wechselseitigen SMS-Austausches, der sich über mehrere Wochen hinzog.»
Unia-Kommunikation wollte falschen Eindruck erwecken
Auffällig an der Formulierung: Die Betonung von «wechselseitig» und «Austausch». Für die Unia-Mitarbeiter, die mit der «WoZ» sprachen, ist klar: Den Frauen soll eine Mitschuld zugeschrieben, Burgers Grenzüberschreitungen sollen kleingeredet werden.
Die Sanktion, die Nico Lutz verkündet habe: Burger wird ermahnt. Eine Ermahnung ist die mildeste Sanktionsmöglichkeit, eine Verwarnung wäre wesentlich schärfer. Im Unia-Reglement zu Mobbing und sexueller Belästigung werden Sanktionen bis zur fristlosen Kündigung aufgeführt, und es wird die «besondere» Aufsichtsverantwortung von Vorgesetzten betont – im aktuellen Fall ist Nico Lutz Vorgesetzter von Burger.
Das ganze Vorgehen passe insgesamt nicht zur Haltung, die die Unia gegen aussen vertritt, wenn es um sexuelle Belästigung geht. Auf ihrer Website fordere sie von Unternehmen «Nulltoleranz für sexuelle Belästigung» und dass in solchen Fällen «eine Beweislasterleichterung» gelten müsse.
Zudem wird Kritik laut, in der ganzen Unia herrsche eine sexistische Kultur: «Gewerkschaftssekretärinnen fühlen sich nicht ernst genommen. Sie werden für die Fleissarbeit gebraucht, aber sobald es um Macht geht, werden sie abgesägt, nicht befördert und so weiter», sagt etwa eine Gewerkschafterin, die nicht in der Region Zürich beschäftigt ist.
Schon drei Leute haben gekündigt
In der Unia Zürich-Schaffhausen gärt es: Keine Entlassung, keine Versetzung, eine simple Ermahnung und dann Gras über die Sache wachsen lassen – das wollen sich viele MitarbeiterInnen nicht mehr bieten lassen. Bisher haben aus Protest drei Angestellte gekündigt, weitere überlegen sich zu gehen.
In einem Interview mit der «WoZ» wehrt sich Lutz gegen die Kritik: Man habe bezüglich den Vorwürfen wegen sexueller Übergriffe «rasch gehandelt». Er bestreitet, dass schon klar sei, dass Burger in die Zentrale nach Bern wechseln könne, wie die «NZZ am Sonntag» schrieb.
Dennoch sagt Lutz: «Wie bei allen langjährigen Mitarbeitenden suchen wir Lösungen, wenn sie eine Funktion aufgeben. Wir haben als Arbeitgeber hier eine Verantwortung.» Ob das die Frauen in der Unia auch so sehen? (hlm)