Umstrittene Altersbestimmung bei Flüchtlingen
Kinderärzte rufen zum Boykott auf

Der Bund setzt bei der Bestimmung des Alters von jungen Asylsuchenden teils auf umstrittene medizinische Methoden. Der Kinderärzteverband ruft nun die Ärzte dazu auf, die Mithilfe bei der Altersbestimmung zu verweigern.
Publiziert: 01.06.2017 um 23:53 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 06:45 Uhr
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Viele Asylsuchende haben keine Dokumente.
Foto: Keystone
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Viele Asylsuchende haben keine Dokumente.
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Ruedi Studer

Die Flüchtlingskrise dauert an. Immer öfter sind Minderjährige ganz alleine unterwegs. Auch der Anteil der unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden ist 2016 gemäss Asylstatistik auf rekordhohe 7,3 Prozent gestiegen.

Doch die Frage der Minderjährigkeit ist oft umstritten. Viele Asylsuchende haben keine Dokumente oder kommen aus Regionen ohne Geburtsregister. Um das Alter zu klären, setzt das Staatssekretariat für Migration (SEM) fallweise auch auf eine medizinische Altersüberprüfung.

Dazu gehört die umstrittene Handknochenanalyse. Im Testbetrieb in Zürich werden in einem Drei-Säulen-Modell zusätzlich zum Knochenalter auch das Zahnalter und die körperliche Entwicklung unter die Lupe genommen. Die Ärzte schauen sich dabei Genitalien, Körperbehaarung und bei Frauen auch die Brustentwicklung an.

Kinderärzte verweigern Mitarbeit

Das treibt nun die Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie (SGP) auf die Barrikaden. Der Verband der Kinder- und Jugendärzte ruft seine Ärztekollegen zum Boykott der Asylbehörden auf.

In einer Stellungnahme empfiehlt die SGP «ihren Mitgliedern und jedem diesbezüglich angefragten Arzt, sich nicht an der Altersbestimmung junger Asylbewerber zu beteiligen».

Die angewandten Methoden seien «zu approximativ» und wiesen eine «weite Streubreite» auf. Zudem werde die ethnische und sozioökonomische Vorgeschichte der Betroffenen oft nicht genügend berücksichtigt. «Es gibt heutzutage keine wissenschaftliche Methode, die erlauben würde, das Alter eines 15- bis 20-Jährigen genau zu bestimmen und sicher zu entscheiden, ob er voll- oder minderjährig ist», monieren die Kinderärzte.

Kinder schützen

Mit ihrem Boykott wollen sie verhindern, bei Fehlentscheiden zu Komplizen zu werden. Wird ein Jugendlicher fälschlicherweise zum Erwachsenen gestempelt, verliert er die besonderen Kinderschutzrechte.

«Es ist ein Problem, wenn Minderjährige zurückgeschickt werden und nicht jene Hilfe erhalten, zu welcher sie berechtigt sind», sagt SGP-Präsidentin Nicole Pellaud zu BLICK.

Ihr Verband plant weitere Schritte: «Wir werden die Gesundheits- und Migrationsbehörden von Bund und Kantonen wie auch das politische Milieu über unsere Haltung informieren.» 

Betroffene sind «nie ganz nackt»

Das Staatssekretariat für Migration verteidigt die umstrittenen Altersgutachten. Diese würden «nur ergänzend im Rahmen einer Gesamteinschätzung bei der Altersfeststellung beigezogen», erklärt Sprecher Jonas Montani. «Kein Asylentscheid stützt sich einzig auf das medizinische Gutachten.»

Gerade die Handknochenanalyse werde nur «als schwaches Indiz» gewertet. Die Untersuchungen würden nur mit Zustimmung der Betroffenen vorgenommen, so Montani. Und bei der optischen Überprüfung werde man nicht angefasst und sei nie ganz nackt.

Er verweist zudem auf ein neues Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das dem Altersgutachten insgesamt eine «erhebliche Beweislast» beimisst.

Drei-Säulen-Modell flächendeckend?

Seit 2014 bis Ende April 2017 wurden laut SEM 300 Personen nach dem Drei-Säulen-Modell untersucht. «Bei der Hälfte der untersuchten Personen sprachen medizinische Gutachten von einer Volljährigkeit mit hoher bis an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit», sagt Montani.

Im Zürcher Pilotprojekt will der Bund vorerst weitere Erfahrungen mit dem neuen Modell sammeln, bevor er über eine flächendeckende Einführung entscheidet. Montani: «Entsprechende Entscheide dürften nicht vor Ende 2017 fallen.» Bis dahin wird man auch sehen, wie geschlossen die Ärzte dem Boykottaufruf folgen.

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