Tunnels mit Gegenverkehr
«Die Todesrate ist mehr als doppelt so gross»

Eine zweite Röhre am Gotthard erhöhe die Unfallgefahr, senke aber das Tötungsrisiko, sagt der Verkehrsexperte Klaus Robatsch. Und er warnt vor Autofahrern, die versuchen, besonders sicher zu fahren.
Publiziert: 12.02.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 03:01 Uhr
Klaus Robatsch zählt zu den anerkanntesten Verkehrssicherheitsexperten Europas. Der Ingenieur hat verschiedene Forschungsprojekte zur Sicherheit in Strassentunnels geleitet und arbeitet als Bereichsleiter Forschung und Wissensmanagement am Kuratorium für Verkehrssicherheit, Wien.
Foto: Regina Hügli
Interview: Christoph Lenz

Herr Robatsch, die Schweiz streitet über den Gotthard. Die Befürworter der zweiten Röhre sagen, dass mit einem zweiten Tunnel die Sicherheit erhöht werde. Stimmt das?
Klaus Robatsch: Man kann die Sicherheit eines Tunnels anhand verschiedener Indikatoren messen. Es gibt etwa das Unfallrisiko, das Verletzungsrisiko, das Tötungsrisiko oder die Unfallkosten. Je nachdem, welchen dieser Parameter man anschaut, kommt man zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Kann man den Sicherheitsgewinn einer zweiten Röhre beziffern?
Unser Institut hat ein- und zweiröhrige Strassentunnels verglichen. Dabei haben wir festgestellt, dass die Wahrscheinlichkeit, einen Unfall mit Personenschaden zu haben, in zweiröhrigen Tunneln etwas grösser ist als im Tunnel mit Gegenverkehr.

Einröhrige Tunnels sind also weniger gefährlich? Das klingt paradox!
Es kommt eben darauf an, wie man Verkehrssicherheit definiert. Man darf das Unfallrisiko nicht mit dem Todesrisiko verwechseln. Unfälle in Gegenverkehr-Tunnels sind im Allgemeinen schwerwiegender und teurer. Die Todesrate ist mehr als doppelt so hoch! Wo es Gegenverkehr hat, sind auch die Unfallkosten massiv höher. Berücksichtigt man alle diese Parameter, ist das Fazit sehr klar: Zwei Röhren sind sicherer.

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Andererseits sagen Gegner der zweiten Gotthard-Röhre, das Risiko in einem Tunnel in einen Unfall verwickelt zu werden, sei ohnehin sehr gering. Trifft das zu?
Es stimmt. Obwohl kaum jemand gerne in einem Tunnel fährt, sind Tunnels prinzipiell sehr sicher. Die Wahrscheinlichkeit, zu verunglücken, ist sogar etwas geringer als auf offenen Autobahnen und Schnellstrassen. Aber wenn dann etwas passiert, dann ist die Verletzungsschwere im Tunnel natürlich deutlich höher. Erst recht, wenn es noch Gegenverkehr hat.

Von welchen Faktoren hängt denn die Gefahr im Tunnel ab?
Am meisten Unfälle passieren im Übergangsbereich vom Freiland ins Tunnelportal. Dort, wo das Tempo reduziert wird. Deshalb ist es ganz wichtig, dass das Bremsen kontrolliert abläuft.

Viele Leute fühlen sich unwohl in Tunnels. Fahren sie deshalb auch schlechter?
Grundsätzlich ist der Innenbereich eines Tunnels sehr sicher: Im Portalbereich ist die Unfallrate etwa viermal höher. Was aber tatsächlich gefährlich ist, ist, wenn die Leute sich fürchten und versuchen, besonders sicher zu fahren.

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Warum?
Wer sich fürchtet, drosselt rapide das Tempo. So passieren viele Auffahrunfälle.

Gibt es einen Trend im Tunnelbau, Gegenverkehr zu vermeiden?
In Österreich wurden in letzter Zeit fast alle längeren Tunnels mit einer zweiten Röhre nachgerüstet.

Warum?
Aus Sicherheitsgründen und um die Kapazität zu erhöhen.

Das Auto wird derzeit revolutioniert. Mit intelligenten Fahrsystemen sollten Unfälle bald weitgehend vermieden werden können. Lohnt es sich da überhaupt noch, eine zweite Röhre zu planen?
Diese Überlegung ist grundsätzlich schon richtig. Wir werden durch die selbstfahrenden Autos eine Reduktion der Auffahrunfälle sehen. Denn Computer reagieren schneller als Menschen. Die Frage ist aber: Wie lange dauert es, bis wir so weit sind, dass alle Fahrzeuge auf der Strasse in diese intelligenten Systeme eingebunden sind?

Was schätzen Sie?
Ich glaube, dass das mindestens noch 20 Jahre dauern wird. Schliesslich ist undenkbar, dass die heutigen Autos schon in 15 Jahren von der Strasse verbannt werden. Zwischen 2030 und 2040 werden aber die wesentlichsten Ursachen von Unfällen wegfallen. Erstens die mangelnde Aufmerksamkeit des Fahrers. Zweitens die Geschwindigkeitsüberschreitungen. In 25 Jahren wird keiner mehr mit 200 Sachen über die Autobahn brettern.

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