Swiss-Olympic-Chef Roger Schnegg warnt die Politik
«Ohne Geld kein Gold!»

Swiss-Olympic-Direktor Roger Schnegg (48) fordert vom Bund 30 Millionen Franken für den Spitzensport. Sonst gebe es in ein paar Jahren keine olympischen Medaillen mehr.
Publiziert: 31.07.2016 um 00:00 Uhr
|
Aktualisiert: 11.09.2018 um 12:00 Uhr
1/4
Will die Schweiz ­weiterhin Medaillen gewinnen, muss sie mehr investieren, sagt Swiss-Olympic-Chef Roger Schnegg.
Foto: Peter Mosimann
Interview Sermîn Faki

SonntagsBlick: Roger Schnegg, Sie reisen heute nach Rio. Einige Länder klagen über die Unterkünfte. Wie sind die Bedingungen für die Schweizer?
Roger Schnegg:
Es funk­tioniert nicht alles. Wir hatten kurz überlegt, auf eigene Kosten noch Handwerker einzustellen. Aber das war dann nicht nötig. Die Athleten können einziehen.

Und sonst, wie klappt die Organisation?
Rio ist nicht London, wo alles super durchorganisiert war. Aber alle wussten, worauf sie sich einlassen, und Brasilianer sind Weltmeister im Improvisieren. Letztlich wird alles klappen.

Wurden angesichts der Terrorlage die Sicherheitsmassnahmen verschärft?
Sicherheit ist bei allen Grossanlässen ein Thema. Wir sind in Kontakt mit dem Bundesamt für Polizei und der Botschaft in Rio. Im Moment rechnen wir nicht mit Anschlägen. Problematischer ist die Kleinkriminalität. Alle Athleten haben Verhaltensregeln erhalten. Wer sich daran hält, dem sollte nichts passieren.

Die Spiele werden überschattet durch den russischen Dopingskandal. Wie beurteilen Sie die ­Reaktion des Internationalen Olympischen Komitees?
Wir sind enttäuscht, dass das IOC die Verantwortung auf die internationalen Verbände abgeschoben hat. Die Untersuchung hat eindeutig gezeigt, dass Doping in Russland vom Staat gedeckt war. Da wäre ein klares Signal des IOC angebracht gewesen.

107 Schweizer Athleten fahren nach Rio, die grösste Delegation seit 20 Jahren. Wie kommts?
Die Verbände machen einen wirklich guten Job. Beispielsweise haben wir vier Ruderboote in der Delegation statt nur zwei wie in London. Oder Kunstturnen und Bahnradsport, wo wir im ­Gegensatz zu London Teams am Start haben werden. Aber wir haben auch die ­Selektionskriterien etwas angepasst. Neu gibt es drei Gruppen von Athleten: Die mit intakten Chancen auf Podestplätze, dann die Nachwuchsathleten, die jetzt keine Medaille holen werden, aber grosses Potenzial für Tokio in vier Jahren haben.

Und die dritte Gruppe?
Zu der gehören zum Beispiel die Synchronschwimmerinnen. Die werden kaum eine Top-8-Platzierung machen, auch in den nächsten Jahren nicht. Weil sie aber seit ihrem achten Lebensjahr 30 Stunden in der Woche hart trainieren und zur Weltspitze gehören, nehmen wir sie trotzdem mit.

Bisschen teuer, diese Belohnung.
Überhaupt nicht. Die letzte Meile, also die Reise an die Spiele, macht vielleicht 0,05 Prozent der Kosten für die gesamte Trainingskar­riere aus. Zudem gibt es pro Athlet IOC-Beiträge für den Flug, die Übernachtungen und so weiter.

Die Kosten für den Spitzensport steigen massiv. Warum wird Olympia-Gold immer teurer?
Sport ist zum Prestigekampf geworden. Viele Länder wollen mit Medaillen die eigene Macht demonstrieren oder ihr Image aufpolieren. Da wird wahnsinnig viel Geld reingesteckt. Um vorn dabei zu sein, muss man also viel mehr investieren. Die Niederlande und Australien haben ihre Spitzensportförderung in den letzten Jahren verdoppelt, Kanada sogar verachtfacht! Im Vergleich dazu bekommen wir in der Schweiz Almosen.

Sie wollen mehr Geld.
Pro Kopf gibt die Schweiz heute fünf Franken für den Spitzensport aus. Damit kann man keinen Stan Wawrinka mehr hervorbringen. Wollen wir konkurrenzfähig bleiben, brauchen wir mindestens 75 Millionen pro Jahr statt 45 wie heute.

Woher soll das Geld kommen?
Von der Politik. Der Schweizer Spitzensport bezieht seine Mittel aus zwei Quellen: Vom Bund bekommen wir gut zehn Millionen, und aus den Lotteriefonds der Kantone bekommen wir 26 Millionen. Die Lotterien haben uns jährlich 15 Millionen Franken mehr versprochen, wenn der Bund ebenso viel aufstockt. Der Bundesrat will das aber nicht. Nun hoffen wir aufs Parlament.

Der Bund muss sparen. Warum sollte ausgerechnet der Spitzensport mehr bekommen?
Es kann nicht sein, dass der Bundesrat nur in den Breitensport und die Infrastruktur des Bundesamts für Sport investiert. Bekommen die Verbände nicht mehr Geld, wird es bald keine Spitzensportler mehr geben, die diese Anlagen nutzen. Wenn ich bedenke, wie gern sich ­jeder Politiker mit Roger Federer ablichten lässt, erwarte ich von der Politik ein klares Bekenntnis zum Leistungssport. Bleibt das aus, wird das Konsequenzen haben.

Welche?
Plakativ formuliert: Ohne Geld kein Gold. Investieren wir nicht endlich mehr, sind wir international chancenlos. Spätestens in zehn Jahren wird es mit Medaillen schwierig.

Sind Medaillen wichtiger als Entwicklungshilfe?
Das ist eine unfaire Frage! Natürlich nicht. Aber das gilt ja für die meisten Bereiche unserer Gesellschaft. Beispiel Kultur: Ist es wichtiger, die Stadttheater mit 270 Franken pro Sitz zu subventionieren, wenn man damit in Bangladesch eine Familie ernähren könnte?

Wofür brauchen Sie das Geld?
Erstens für die Athleten: 40 Prozent der Schweizer Spitzensportler verdienen weniger als 14'000 Franken im Jahr, in den Sommerdisziplinen sind es sogar über die Hälfte. Davon kann niemand leben. Zweitens müssen wir massiv in den Nachwuchs investieren – mit geeigneten Strukturen und Profitrainern.

Wozu brauchen Siebenjährige Profitrainer?
Die professionelle Nachwuchsförderung beginnt in den wenigsten Sportarten bei Siebenjährigen. Aber: Ohne professionelle Strukturen wird auch das grösste Talent kein Roger Federer.

Persönlich

Der ehemalige Volleyball-Nationalspieler Roger Schnegg (48) sammelte 2008 als Teamchef der Beach-Volleyballer in Peking erste Olympia-Erfahrungen. Bevor er 2012 Direktor von Swiss Olympic, der Dachorganisation der Sportverbände wurde, stand er dem Stadtberner Sportamt vor. Schnegg ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

Der ehemalige Volleyball-Nationalspieler Roger Schnegg (48) sammelte 2008 als Teamchef der Beach-Volleyballer in Peking erste Olympia-Erfahrungen. Bevor er 2012 Direktor von Swiss Olympic, der Dachorganisation der Sportverbände wurde, stand er dem Stadtberner Sportamt vor. Schnegg ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

Viele Athleten haben sich auf Roger Federer gefreut

Dass Tennisstar Roger Federer die Saison abgebrochen hat und nicht an die Olympischen Sommerspiele fahren wird, findet Swiss-Olympic-Chef Roger Schnegg «extrem schade». Und das nicht nur, weil Federer ein Topkandidat für eine Medaille gewesen wäre. Auch als Person sei Federer für die Delegation sehr wertvoll: «Auch wenn für jeden Athleten das eigene Resultat im Vordergrund steht, haben sich viele auch auf ihn gefreut», so der Swiss-Olympic-Direktor. «Jemanden wie Roger kennenzulernen, ist auch für Spitzensportler etwas Besonderes.» Die Chancen auf vier oder fünf Medaillen sind gemäss Schnegg aber immer noch intakt. Zu den Favoriten gehören Mountainbiker Nino Schurter (30), Triathletin Nicola Spirig (34) sowie die Ruderer und Fechter.

Dass Tennisstar Roger Federer die Saison abgebrochen hat und nicht an die Olympischen Sommerspiele fahren wird, findet Swiss-Olympic-Chef Roger Schnegg «extrem schade». Und das nicht nur, weil Federer ein Topkandidat für eine Medaille gewesen wäre. Auch als Person sei Federer für die Delegation sehr wertvoll: «Auch wenn für jeden Athleten das eigene Resultat im Vordergrund steht, haben sich viele auch auf ihn gefreut», so der Swiss-Olympic-Direktor. «Jemanden wie Roger kennenzulernen, ist auch für Spitzensportler etwas Besonderes.» Die Chancen auf vier oder fünf Medaillen sind gemäss Schnegg aber immer noch intakt. Zu den Favoriten gehören Mountainbiker Nino Schurter (30), Triathletin Nicola Spirig (34) sowie die Ruderer und Fechter.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?