SP-Strahm schlägt Alarm
«Flüchtlinge in der Sozialhilfe – eine tickende Zeitbombe»

Rudolf Strahm will Flüchtlinge an die Arbeit schicken. Das sagt der SP-Mann im Interview mit BLICK. Er fordert Jobprogramme für Zehntausende Migranten und Strafen für Drückeberger. Der Politik wirft Strahm «Staatsversagen» bei der Integration vor.
Publiziert: 15.02.2016 um 19:04 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 02:40 Uhr
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«Das ist eine tickende Zeitbombe.»
Foto: Sabine Wunderlin
Interview: Christoph Lenz

Bundespräsident Johann Schneider-Ammann hat kürzlich im Bezug auf die Unterbringung von Flüchtlingen gesagt, die Kapazitätsgrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen sei erreicht. Teilen Sie diese Einschätzung?
Nein, bei der blossen Unterbringung nicht. Aber wir stossen an Grenzen bei der Integrationskapazität. Integration läuft in der Schweiz über den Arbeitsmarkt. Hier sind wir im Rückstand. Ganz massiv im Rückstand! 

Viele Gemeinden sind schon damit überfordert, den Flüchtlingen eine Bleibe zu besorgen. Sie sagen, das wahre Problem liege woanders?
Mich stört, dass wir bloss über Flüchtlingsbetten streiten, statt über die langfristigen Folgen der Migration zu sprechen. Da kommen noch viel grössere Probleme auf uns zu.

Was sprechen Sie an?
Von 2010 bis 2014 sind 40'000 Personen in die Schweiz gekommen, die heute Bleiberecht haben. 86 Prozent von ihnen beziehen Sozialhilfe. Nun kamen 2015 nochmals rund 40'000 Asylpersonen hinzu. Sie sehen: Das ist eine tickende Zeitbombe. 

Die Schweiz hat schon höhere Flüchtlingszahlen bewältigt, etwa während des Kosovo-Konflikts.
Dieser Vergleich ist eine absolute Beschönigung!

Warum?
Ich war dabei Ende der 1990er-Jahre. Es stimmt, wir mussten sehr rasch sehr viele Personen aus dem Kosovo aufnehmen. Über 90 Prozent davon konnten aber schon im Folgejahr wieder nach Hause geschickt werden. Das ist heute anders, die Asylpersonen kehren nicht zurück. Deshalb ist es unerträglich, wenn all diese jungen, gesunden Männer die ganze Zeit ohne geregelte Struktur herumsitzen. Es wird immer schwieriger, sie in eine Arbeit zu bringen. Für diese Problematik ist ein Grossteil der Politik blind. Das ist Staatsversagen!

Was also muss die Schweiz tun?
Meine Forderung heisst: Arbeit statt Sozialhilfe. Ähnlich wie bei der Arbeitslosenversicherung sollen klare Fristen für die Arbeitsintegration für Flüchtlinge gelten. Bei der ALV muss nämlich jeder Arbeitslose spätestens nach 150 Tagen ein Betriebspraktikum, eine Weiterbildung oder ein Job-Programm absolvieren. Wer sich weigert, erfährt eine Reduktion der Leistungen. Das ist nicht unmenschlich, es ist integrationswirksam.

Sie reden von Arbeitszwang?
Nein, von einem Arbeitsanreiz und klaren, gesetzlichen Anforderungen. Man muss fördern und fordern.

Wie viele Flüchtlinge sollen so beschäftigt werden?
Alle, die arbeiten können. Also mehrere Zehntausend.

Arbeitgeber wollen schon heute kaum Flüchtlinge einstellen. 
Das stimmt. Selbst die Bauern, die jährlich 30'000 Süd- und Osteuropäer anstellen, wollen die Asylpersonen nicht beschäftigen. Das ist schäbig, aber politisch kaum zu ändern. Deshalb müssen die Kantone und Gemeinden verpflichtet werden, Arbeitsprogramme für die gesunden Asylpersonen auszuarbeiten. Tun sie es nicht, müssen auch sie dies finanziell zu spüren bekommen.

Das verlangt den Aufbau einer völlig neuen Behörde, es droht eine Arbeitsbeschaffungsbürokratie!
Ich glaube, dass man es einfacher lösen kann. Indem wir wenn möglich bewährte Strukturen nutzen und erweitern, die heute schon existieren und funktionieren. Nämlich jene der Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV). Bei ihnen ist das Know-how vorhanden, sie können die Leute coachen und in die regionalen Arbeitsprogramme vermitteln. Die Sozialhilfeszene ist leider dazu meist nicht in der Lage.

Wer soll das bezahlen?
Das wird nicht teurer.

Wie bitte?
Heute kostet jeder Flüchtling den Staat pro Jahr rund 25'000 Franken, auch wenn er nicht arbeitet. Die rasche Arbeitsintegration ist nicht billiger, aber der entscheidende Vorteil: Statt dass die Leute das Geld fürs Herumsitzen erhalten, gehen sie einer Arbeit nach. Und nach zwei Jahren haben sie Sprachkompetenzen und wollen aufsteigen, eine Weiterbildung machen, sogar eine Lehre. Das Fundament der Integration wird schon in den ersten Monaten gelegt.

Wo sollen denn diese Jobs sein?
Bei den Gemeinden. In der Mithilfe beim Wald putzen, Quartiere säubern, in den Werkhöfen mitarbeiten, beim Recycling betreuen, und so weiter. Natürlich braucht es anfänglich auch hier Betreuung.

Gibt es denn überhaupt genügend Arbeit? Man kann einen Wald nicht zweimal putzen.
Richtig. Aber der Kanton Graubünden hat die Leute in die Hotelküchen geschickt. Ähnliche einfache Jobs gibts überall. Für das Konzept «Fördern und Fordern» braucht es aber eine gesetzliche Grundlage. Mit einem dringlichen Bundesbeschluss.

Wie schnell muss es gehen?
Schnell, noch dieses Jahr. Ich bin überzeugt, dass dieser Bundesbeschluss in den Gemeinden einen Denkprozess anstossen würde, darüber, wo man diese Leute einsetzen könnte. Natürlich, es gäbe auch ein Gejammer, so wie bei der Suche nach Unterkünften und Betten. Doch auch da klappt es ja eigentlich ganz ordentlich.

Was kommt auf die Schweiz zu, wenn sie die Arbeitsmarktintegration nicht entschlossen vorantreibt?
Die Sozialhilfeausgaben steigen wegen der Asylpersonen schon jetzt jedes Jahr um durchschnittlich 4 bis 6 Prozent, in manchen Gemeinden noch mehr. Gerade als Linker bin ich besorgt: Wenn es so weitergeht, wird es einen massiven Druck für Sozialhilfekürzungen geben. Die politische Bereitschaft, solche Kosten zu übernehmen, ist nun mal beschränkt. Vorsorgen heisst jetzt handeln.

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