Diese Schlappe traf Christian Levrat (45) bis ins Mark: Am Samstag vor einer Woche legten die Delegierten in La Chaux-de-Fonds NE seinen Plan eines «EWR 2.0» auf Eis. Dieser hätte als Marschetappe zwischen den bilateralen Verträgen und dem von der SP gewünschten EU-Beitritt dienen sollen.
Der Geschlagene gibt sich trotzig: «Ich bleibe optimistisch», sagt Levrat zu SonntagsBlick. «Unsere Delegierten werden einsehen, dass die Bastelei um die Bilateralen nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann.»
Doch nicht nur im Europa-Dossier drohen dem Freiburger die Zügel zu entgleiten: Die Parteibasis unterstützt, wenn auch nur mit hauchdünner Mehrheit, das Referendum gegen das revidierte Gesetz zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Büpf).
Noch eine Stunde vor der knappen Abstimmung meinte Levrat selbstbewusst, er könne die Delegierten von einem Referendum abbringen – es kam anders.
Levrat scheint die Genossen nicht mehr im Griff zu haben. Das schürt die Gerüchte in seiner Partei, dass er bis Ende Jahres zurücktreten könnte. Dass der passionierte Schachspieler und strategische Kopf der SP das Vertrauen seiner Leute verliert, verdeutlicht nicht nur das doppelte «Njet» der Delegierten. Seine Parteikollegen zeigten ihm bereits letzten November die kalte Schulter, als sie den Waadtländer Roger Nordmann (43) zum Fraktionspräsidenten wählten. Gegen den erklärten Willen Levrats.
Solche Niederlagen ist der Ständerat nicht gewohnt. Lange wurde er für sein strategisches Geschick und seine intellektuelle Brillanz in Bern gelobt und gefürchtet. 2011 hievte er seinen Kumpel Alain Berset (44) in den Bundesrat. Der eine im Bundesrat, der andere an der Parteispitze – das Freiburger Moitié-Moitié geriet zum politischen Erfolgsrezept. Levrats steile Karriere stand in ihrem Zenit.
«Ein Kommandoüberfall bei FDP und CVP von rechts»
Drei Jahre zuvor, kurz nach der Abwahl von Christoph Blocher (75) aus dem Bundesrat, hatte er sich im März 2008 zum SP-Präsidenten aufgeschwungen. Er zähmte die notorisch streitlustigen Sozialdemokraten, die Flügelkämpfe ebbten ab. Die Disziplinierung stärkte die Partei, sie punktete unter Levrat mit effizienter Parlamentsarbeit.
Während sieben Jahren gelang es dem Strippenzieher, die SVP im Bundesrat klein zu halten. Eine Allianz, die von den Grünen über die SP bis in die bürgerliche Mitte zu CVP und BDP reichte, prägte die politische Agenda. Mit der Energiewende als vielleicht wichtigstem Beispiel dieses Mitte-links-Powerplays.
Doch dann drehte der politische Wind und sein viel gelobtes taktisches Geschick liess Levrat im Stich. Vor der Abstimmung über die Masseneinwanderungs-Initiative forderte er unnötigerweise einen Ausbau der flankierenden Massnahmen. Sonst werde seine Partei die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien nicht unterstützen.
Noch heute schütteln Spitzengenossen den Kopf über diesen Sololauf. Denn am 9. Februar 2014 brach Levrats Drohkulisse jäh zusammen. Das Ja zur SVP-Vorlage versetzte Mitte-links in einen Schockzustand.
Als sich ab Sommer 2015 abzeichnete, dass sich die Ära Widmer-Schlumpf ihrem Ende näherte, warf der rote Stratege noch einmal sein ganzes Gewicht in die politische Waagschale – und verlor erneut. Der BDP-Bundesratssitz müsse in der Mitte bleiben, selbst im Falle eines Rücktritts der Bündner Magistratin, erklärte Levrat. Doch die Parlamentswahlen vom Oktober gerieten zum Triumph der SVP. Zehn Tage später trat Eveline Widmer-Schlumpf (60) zurück und seit Jahresbeginn sitzt mit VBS-Chef Guy Parmelin (56) wieder ein zweiter SVPler in der Landesregierung. «Wir sind orientierungslos geworden», analysiert ein SP-Parteikader die Lage.
«Ja, wir spüren den Rücktritt von Widmer-Schlumpf»
Die neue Konstellation in Bern macht der Linken das Leben schwer. «Ja, wir spüren den Rücktritt von Widmer-Schlumpf», sagt Levrat. So habe die Wirtschaftskommission des Nationalrats (WAK) diese Woche «Steuergeschenke in der Höhe von vier Milliarden Franken für Aktionäre, Grossunternehmen und Bauern beschlossen», moniert der SP-Chef. Konkret befürwortet die WAK die Unternehmenssteuerreform III sowie deren kompromisslose Umsetzung und will sämtliche Stempelsteuern abschaffen.
Daneben sollen Bauern beim Verkauf von landwirtschaftlichen Grundstücken künftig von den Bundessteuern befreit werden. «Von Finanzminister Ueli Maurer hört man keinen Widerstand dagegen, das wäre unter Eveline Widmer-Schlumpf anders gewesen.» Die Bündnerin habe zu den Bundesfinanzen Sorge getragen, klagt Levrat.
Levrats Glück: Mit der Unternehmenssteuerreform wird ihm eine vielleicht letzte Chance auf dem Silbertablett serviert. Der WAK-Entscheid macht erneut deutlich, dass die Bürgerlichen entschlossen sind, die Konzerne auf Kosten der einfachen Steuerzahler zu entlasten. Eine bessere Konstellation für eine Abstimmung ist aus linker Sicht nicht denkbar. Der SP-Stratege hat bereits das Referendum angekündigt. «Die Bürgerlichen haben das Fuder masslos überladen», sagt er. Mit einem Sieg an der Urne könnte Levrat seine Position wieder festigen.
Denn die Isolierung der Levrat-SP wird angesichts der Rochaden an der Spitze der politischen Konkurrenz besonders deutlich. In diesen Tagen wechseln die grossen bürgerlichen Parteien ihre Parteipräsidenten aus: Bei der CVP folgt auf Christophe Darbellay (45), mit dem sich Levrat ausgezeichnet versteht, der konservative Zuger Gerhard Pfister (53). Die Freisinnigen zementieren mit der Wahl von Petra Gössi (40) ihren Rechtskurs. Und bei der Volkspartei übernimmt Albert Rösti (48). Der Wechsel bei der SVP spiele für die SP keine Rolle, so Levrat. «Aber bei FDP und CVP beobachten wir einen Kommandoüberfall von rechts.» Er hofft, dass Pfister und Gössi zumindest offen für Gespräche sein werden.
Doch die drei Neuen an den Parteispitzen werden mit Elan ans Werk gehen, sich profilieren müssen. Ob da ein angezählter SP-Präsident noch mithalten kann, ist zweifelhaft. Dennoch denkt Levrat nicht daran, Platz zu machen für eine oder einen Neuen mit mehr Strahlkraft. «Ich fühle mich kein bisschen amtsmüde», verkündet er kämpferisch. Die Delegierten in La Chaux-de-Fonds haben ihm deutlich gemacht: Viel Zeit bleibt ihm nicht, um wieder Tritt zu fassen.