Nach einem Urteil des Bundesgerichts fällt die rassendiskriminierende Geste nicht mehr unter die Antirassismus-Strafnorm. Es sei denn, der Hitlergruss wird gezielt ausgeführt, um unbeteiligte Dritte für die braune Ideologie zu begeistern.
Rechtsextreme dürfen sich also darauf verlassen, dass die Justiz sie künftig mit Samthandschuhen anfasst.
Das aufsehenerregende Urteil bezieht sich auf einen Vorfall vom August 2010. 150 Schweizer Rechtsextreme und Neonazis zogen damals zu einer unbewilligten Kundgebung aufs Rütli. Exakt 70 Jahre zuvor hatte General Guisan seine Armeespitze an diesem mythischen Ort zusammengezogen, um den Widerstand gegen Hitler und seine Schergen zu beschwören. Nun trampelten die Rechtsextremen mit ihren Springerstiefeln über die «heilige Wiese» der Schweiz und zelebrierten ihr braunes und nationalistisches Gedankengut.
Während Spaziergänger und Wanderer befremdet an der Zusammenrottung vorbeigingen, hob ein Neonazi seinen Arm für rund 20 Sekunden zum Hitlergruss. Die Polizei filmte mit.
Für die Urner Behörden war klar: Die widerliche Geste darf nicht ohne Folgen bleiben. 2012 wurde der Neonazi der Rassendiskriminierung schuldig gesprochen. 300 Franken Busse und bedingte Geldstrafe von 500 Franken.
Den Bundesrichtern passt das nicht. Sie haben den Schuldspruch aufgehoben. Begründung: Das Ausführen des Hitlergrusses in der Öffentlichkeit sei per se nicht strafbar, sondern ein zulässiges Bekenntnis zu Hitlers Ideologie.
Für die höchsten Richter im Land ist der Hitlergruss nur verboten, wenn damit offensiv für die braune Ideologie geworben wird.
Der im privaten Bereich bereits gestattete Hitlergruss bleibt künftig also auch in folgenden Situationen straffrei:
- Ein Neonazi läuft morgens durch die Fussgängerzone und wünscht den Passanten ein herzliches «Heil Hitler».
- Zehn Rechtsextreme trinken Bier vor einem Einkaufszentrum und versichern sich gegenseitig ihrer menschenverachtenden Gesinnung.
Pikant: Um zu diesem engen Strafbegriff zu gelangen, mussten die Lausanner Richter ein grosses Mass an Spitzfindigkeit an den Tag legen. Sie stützen ihr Urteil nicht auf die deutsche Fassung des Antirassismus-Gesetzes. Sondern auf die restriktivere französische und italienische Übersetzung.
Seit das Urteil gestern publiziert wurde, fragen sich Experten im In- und Ausland: Womit haben die Hitler-Buben diese Vorzugsbehandlung des Bundesgerichts verdient?
Die österreichische Journalistin und Rechtsextremismus-Kennerin Christa Zögling ist überrascht vom Urteil: «NaziGedankengut ist keine Ideologie, sondern eine Verdrehung historischer Tatsachen.» Zögling geht davon aus, dass die international vernetzte Szene das Verdikt als Sieg der freien Meinungsäusserung feiern wird. In Österreich ist der Hitlergruss teil eines Katalogs von Nazi-Symbolen, deren Verwendung und Zurschaustellung in der Öffentlichkeit verboten sind. Damit, so Zöchling, sei man gut gefahren.
«Wir bedauern dieses Urteil sehr. Der Hitlergruss ist inakzeptabel», sagt Martine Brunschwig Graf, Präsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus. Einen Index nach österreichischem Vorbild lehnt sie trotzdem ab. «Man gerät in Teufels Küche, wenn man eine abschliessende Liste der rassistischen Symbole und Handlungen erstellen will.»
Doch ist die Antirassismus-Norm nicht wertloses Papier, wenn selbst der Hitlergruss erlaubt ist? «Jedes Jahr gibt es rund 19 Urteile; die Strafnorm ist äusserst nötig», sagt Brunschwig Graf. Vorerst gehe es ohnehin darum, die Abschaffung der Strafnorm zu verhindern. Die SVP hat im März einen entsprechenden Vorstoss eingereicht.