Push-Meldungen bei Überschwemmung oder Atom-Notfall
Bund will per Facebook und Twitter warnen!

Weil Sirenen immer weniger nützen, soll neu das Handy Alarm schlagen. Doch dazu müssten einige Grosskonzerne mitspielen.
Publiziert: 17.04.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 15:05 Uhr
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Laut Benno Bühlmann (56), Direktor beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz, nehmen viele «den Sirenenalarm nicht mehr ernst».
Foto: Peter Mosimann
Roland Gamp

Am 1. April nach Mitternacht reisst das Geheul einer ­Sirene die Bewohner von Leubringen BE aus dem Schlaf. Es ist kein Aprilscherz, sondern ein Fehlalarm. Er offenbart massive Probleme im Schweizer Alarmierungssystem: Viele Anwohner wissen nicht, was zu tun ist und reagieren falsch. Statt am Radio auf Anweisungen zu warten, telefonieren sie der Polizei. «In kurzer Zeit gingen über 300 Anrufe ein», sagt Christoph ­Gnägi (36) von der Berner Kantonspolizei.

Die Beamten sind im Stress. «Sie kamen nicht dazu, die entsprechende Meldung auch für die Radiostationen auf Französisch zu verfassen.» Obwohl die betroffene Region zweisprachig ist, sendet das welsche Radio keine Meldung. Auf SRF 1 gab es um 1.03 Uhr die erste Entwarnung. 40 Minuten später also – viel zu spät!

Zuständig für die Sirenen ist das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (Babs). Direktor Benno Bühlmann (56): «Das Wissen um das korrekte Verhalten im Fall eines Alarms nimmt in der Bevölkerung ab.»

Warnsignale sind nicht ausreichend

Zudem erreichen Warnsignale die Menschen immer schlechter. Gebäude sind besser isoliert, die Fenster dicht. «Die Leute sind zunehmend mit Kopfhörern unterwegs», sagt Bühlmann. «Und es gibt immer mehr Ältere mit ­einer Hörschwäche.»

Und: Sirenen haben ein Glaubwürdigkeitsproblem. Jeden Monat geht irgendwo ein Fehl­alarm los. Bühlmann: «Ein Teil der Bevölkerung nimmt den Alarm deshalb nicht mehr ernst!» Obwohl das Sirenen­geheul auch vor verheerenden Katastrophen warnen soll. So etwa bei schweren Chemie­unfällen oder Störungen in ­einem Atomkraftwerk. Auch bei Erdbeben, Überschwemmungen oder grossen Lawinen schlagen die Sirenen Alarm.

Was aber, wenn die gewarnten falsch oder gar nicht reagieren? Bis Ende Jahr muss das Babs dem Bundesrat eine Auslegeordnung zu laufenden Projekten unterbreiten. Dazu gehört auch die Präsentation neuer Warnsysteme.

Smartphones sollen miteinbezogen werden

Zentrale Änderung: Künftig sollen Smartphones miteinbezogen werden. «Wir haben geprüft, ob alle Betroffenen per SMS über einen Notfall informiert werden können», sagt Babs-Sprecher Kurt Münger (51). Doch für ein Grossereignis auf nationaler Ebene wäre das nicht umsetzbar: «Es ist wie an Silvester: Wenn man so viele Nachrichten auf einmal verschickt, bricht das Netz zusammen.» Es kann Stunden dauern, bis alle informiert sind – «im Ernstfall viel zu lange».

Ebenfalls geprüft wurde das sogenannte «Cell Broadcasting». Bei diesem verschicken die Behörden Push-Meldungen an alle Smartphones, die sich im gefährdeten Gebiet befinden. Der Dienst funktioniert über das Mobilfunknetz – Nutzer brauchen keine spezielle App.

«Das Problem ist, dass bei gängigen Smartphones diese Kommunikation standardmässig ausgeschaltet ist», erklärt Münger. Die Hersteller wollen das nicht ändern.

Das Babs wird deshalb ab Mitte 2017 über die eigene App «Alertswiss» warnen. So wird es auch in Deutschland gemacht, das überregional seit Jahren keine Sirenen mehr betreibt.

Erst 25'000 «Alertswiss» Nutzer

Allerdings haben in der Schweiz erst 25'000 Nutzer «Alertswiss» installiert. «Um die flächendeckende Sicherheit zu gewährleisten, ist das zu wenig», sagt Münger.

«Einfacher wäre es, Benachrichtigungen über bereits etablierte Apps zu versenden» – der Babs-Sprecher nennt die ­Social-Media-Dienste Facebook und Twitter, aber auch Apps der SBB, von Meteo oder SRF. «Sehr viele Leute haben zumindest eine dieser Apps ­installiert und wären gewarnt.» Gespräche mit den genannten Unternehmen habe man allerdings noch nicht geführt.

Was das digitale Warnsystem kosten würde, ist unklar. Für den Betrieb der 5000 stationären Sirenen im Land fallen pro Jahr rund 3,5 Millionen Franken an.

Auch in Zukunft bleiben sie in Betrieb, wie der oberste Bevölkerungsschützer Benno Bühlmann betont: «Alle Systeme, die auf elektronischen Medien basieren, sind im Falle ­eines grossen Strom- oder Internetausfalls kaum mehr verfügbar.» Die Sirenen hingegen funktionieren. Seit 2015 sind sie alle mit Notstrom ausgestattet – und nicht vom Internet abhängig.

Als die Sirenen heulten

Im November 1986 ging in Basel der Alarm los, als in Schweizerhalle ein Grossbrand im Lager des Chemiekonzerns Sandoz wütete. 1991 heulten die Sirenen, weil im Bahnhof Stein-Säckingen AG ein Güterzug mit mehreren Wagen Benzin entgleiste. Bei den Hochwassern 2005 gab es mehrere Alarme, etwa in Emmen LU oder Engelberg OW. Und im Berner Oberland warnten die Sirenen schon häufig vor grossen Lawinen.

Im November 1986 ging in Basel der Alarm los, als in Schweizerhalle ein Grossbrand im Lager des Chemiekonzerns Sandoz wütete. 1991 heulten die Sirenen, weil im Bahnhof Stein-Säckingen AG ein Güterzug mit mehreren Wagen Benzin entgleiste. Bei den Hochwassern 2005 gab es mehrere Alarme, etwa in Emmen LU oder Engelberg OW. Und im Berner Oberland warnten die Sirenen schon häufig vor grossen Lawinen.

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