Schlaumeier und Kriminelle kennen Gesetzeslücken besser als jeder Politiker. Eines der stossendsten Beispiele: Heute fehlt eine gesetzliche Grundlage, dass Schweizer Betreibungsämter ihre Daten untereinander austauschen können. Das nützen Mietnomaden schamlos aus. Oft handelt es sich um unverheiratete Paare oder Wohngemeinschaften, welche die Miete nicht bezahlen und betrieben werden.
Allerdings laute die Betreibung nur auf einen Namen, ärgert sich etwa der Berner Justizdirektor Christoph Neuhaus (SVP). Das Paar könne in einem anderen Kanton also mit einem «sauberen» Auszug eine neue Wohnung mieten. Sobald es angemeldet ist, erhalten beide wieder eine weisse Weste.
Er kenne Dutzende solcher Fälle, sagt Neuhaus, der im Kanton Bern für das Betreibungswesen zuständig ist. Wiederholt kämen geschädigte Gläubiger auf ihn zu und würden fragen, was sie tun sollen. Diese Leute seien oft unvorsichtig oder zu gutgläubig gewesen. «Sie tun mir leid», sagt er. «Aber heute spiegelt ein Betreibungsregisterauszug leider oft falsche Tatsachen vor», so Neuhaus. Das liege primär an der riesigen Mobilität der Bevölkerung.
In manchen Kantonen kommen selbst Auswärtige zu einem «sauberen» Auszug, ohne überhaupt im Kanton wohnhaft zu sein – juristisch legitimiert. Für Betrüger ist eine solche Praxis eine Einladung.
Diesem Treiben will die Politik nun ein Ende bereiten. BLICK weiss: Über 100 Nationalräte aus FDP, CVP, BDP, GLP und SVP haben eine parlamentarische Initiative von Lastwagenfahrer und Immobilienverwalter bzw. -besitzer Erich Hess unterschrieben. Der Berner SVP-Nationalrat verlangt eine gesetzliche Grundlage dafür, dass eine einzige Anfrage bei einem beliebigen Betreibungsamt sämtliche schweizweit registrierten Betreibungen und Verlustscheine zu Tage fördert.
«Das heutige System lädt offensichtlich zu Missbräuchen ein», begründet er. Im Jahr 2016 müsse es technologisch einfach möglich sein, die Register zu vernetzen, findet Hess. An vorderster Front für eine Harmonisierung kämpft auch Martin Candinas.
Der Bündner CVP-Nationalrat sagt: «Der Schulden-Tourismus ist der einzige Tourismus, den ich nicht unterstützen kann.» Dieser verursache jedes Jahr hohe, volkswirtschaftlich relevante Kosten. Bereits 2012 verlangte er einen Bericht des Bundesrats zum Thema. Wegen der neuen Initiative stiess er diese Woche in der Fragestunde bei Simonetta Sommaruga (SP) nach.
Die Justizministerin bestätigte, dass ein Amt nur Auskunft über eigene Betreibungen geben kann. «Da es in der Schweiz zurzeit noch immer über 400 Betreibungsämter gibt, ist dies eine unbefriedigende Situation», findet sie.
Eine Zusammenführung sehe zwar auf den ersten Blick einfach aus. Doch es gebe heikle Fragen in Bezug auf Datenschutz, Finanzierung und die Zuständigkeit. Einen kleinen Fortschritt habe man schon gemacht: Die Auszüge sehen seit 2014 landesweit gleich aus. «Zumindest eine Grundvoraussetzung für den Datenaustausch zwischen den Ämtern wäre damit erfüllt.»
IMAGE-ERRORSommaruga will bis Ende Jahr einen Bericht vorlegen. Dank der Initiative weiss sie nun: Das Parlament will aufs Tempo drücken.
Interview mit Roger Schober: «Das wäre eine optimale Lösung»
Roger Schober ist Chef der Betreibungs- und Konkursämter des Kantons Bern und Präsident der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz.
Herr Schober, Sie sind quasi der oberste Betreibungsbeamte der Schweiz. Haben Miet-betrüger freie Bahn, weil Ihre Ämter nicht zusammenarbeiten?
Roger Schober: Das ist etwas überspitzt formuliert, aber wir haben tatsächlich ein Problem. Das heutige System funktioniert in der Praxis nicht befriedigend.
Wie werden Sie denn von Kriminellen ausgetrickst?
Sie zügeln weg, lassen aber ihre Schriften bewusst am alten Wohnort liegen. Dann erzählen sie den Nachbarn, dass sie in die Romandie ziehen, begeben sich aber vielleicht in die Ostschweiz. Es existiert eine Weisung des Bundesamts für Justiz, die unseren Beamten ausdrücklich verbietet, einen Nachweis über den Wohnsitz im jeweiligen Betreibungskreis zu verlangen. Also erhalten sie einfach einen leeren Auszug, egal wie oft sie schon betrieben wurden. Manche Kantone setzen sich aber darüber hinweg. In Bern haben wir etwa Zugriff auf das Personenregister, doch das ist schon ein Luxus. Grundsätzlich gibt es viele Möglichkeiten, die Behörden an der Nase herumzuführen.
Sie wünschen sich also eine nationale Datenbank aller Betreibungen.
Das wäre eine für die Wirtschaft optimale Lösung. Unser Ziel ist es, rechtschaffenen Schuldnern und Gläubigern gegenüber möglichst hilfreich zu sein. Deshalb wären Daten aus anderen Kantonen Gold wert. Bisher hat aber niemand wirklich etwas in diese Richtung unternommen.
Wer «leidet» am stärksten unter der heutigen Regelung?
Ein grosser Teil der Betreibungen kommt von staatlicher Seite, meist geht es natürlich um Steuern. Grosse «Player» sind auch Krankenkassen, Internethändler oder die Billag. Die Vermieter machen einen eher kleinen Teil aus. Allerdings sind hier oft Privatpersonen betroffen.