Kriminelle Ausländer füllen unsere Gefängnisse
Larifari bei Ausschaffungen

57000 Ausländer wurden 2013 in der Schweiz verhaftet. Doch nur 376 von ihnen mussten im gleichen Jahr das Land verlassen. Denn beim Vollzug sind die Behörden am Anschlag.
Publiziert: 31.05.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 17:16 Uhr
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Recherchen von SonntagsBlick zeigen: Die Schweiz wird die kriminellen Ausländer nicht los.
Foto: Keystone
Von Joel Weibel und Viviane Bischoff

Die Schweizer Gefängnisse sind überfüllt. Im Genfer Champ-Dollon teilen sich über 900 Häftlinge Zellen, die für 390 Personen gebaut wurden. 74 Prozent aller Gefängnisinsassen in unserem Land haben keinen Schweizer Pass.

Kriminelle Ausländer sorgen seit Jahren für Schlagzeilen: der Kosovare, der einem Schwinger in Interlaken BE mit einem Messer die Kehle aufschnitt. Die drei Raser von Schönenwerd SO, die sich im November 2008 ein Rennen lieferten und die 21-jährige Lorena in den Tod rissen. Die Sozialhilfe-Empfängerin Suleika F., die zwei BWMs und einen Peugeot besass.

Am 28. November 2010 hatte das Volk genug. Mit über 52 Prozent nahm der Souverän die Ausschaffungsinitiative der SVP an. Ihr Ziel: Ausländische Kriminelle und Sozialhilfe-Betrüger sollten von nun an automatisch die Schweiz verlassen müssen.

Die meisten Parteien, der Bundesrat und das Parlament waren gegen die Ini­tiative. Auch, weil der Bundesrat schon im Januar 2009 ein Versprechen abgegeben hatte: Wer eine zweijährige Freiheitsstrafe erhält, sollte künftig automatisch ausgeschafft werden. Damit müssten heute eigentlich wesentlich mehr Ausländer ausgeschafft werden als früher.

Jetzt aber zeigen Recherchen von SonntagsBlick: Die Schweiz wird die kriminellen Ausländer nicht los.  Die Zahl der Ausweisungen stagniert seit Annahme der Ausschaffungsinitiative. Entzogen die Migrationsbehörden im Jahr 2011 insgesamt 365 straffälligen Ausländern die Aufenthaltserlaubnis, waren es 2013 kaum mehr: 376 verloren ihren Ausweis – obwohl im gleichen Jahr fast 57000 Ausländerinnen und Ausländer verurteilt worden waren. 2014 stieg die Zahl auf 443.

Besonders lax geht der Kanton Genf mit der Ausschaffung um: Die Behörden wiesen dort zwischen Oktober 2009 und April 2015 gerade einmal fünf kriminelle Ausländer aus. Ganz anders der Kanton Waadt: 2014 mussten 81 straffällige Ausländern ihre Bewilligung abgeben – sechzehn Mal mehr als in Genf in über fünf Jahren!

Sie müssten gehen, doch sie bleiben

Kommt hinzu: Der Entzug der Aufenthaltsbewilligung bedeutet noch lange nicht, dass die kriminellen Ausländer wirklich gehen müssen. Das weiss Alexander Ott, Vorsteher der Einwohnerdienste, der Migration und der Fremdenpolizei bei der Stadt Bern. Für Ott ist klar: «Das grösste Problem ist der Vollzug und nicht das Gesetz.»

Zum einen stehen den Ausländern alle Rechtsmittel offen. Sie können bis nach Strassburg rekurrieren und die Ausschaffung jahrelang verzögern. Zum anderen können viele Ausländer nicht ausgeschafft werden, weil ihre Heimatländer sie nicht zurücknehmen.

«Was viel mehr bringt, sind Rückübernahmeabkommen», sagt Ott. Das zeige sich im Fall von Nigeria. Dort habe sich die Situation entspannt, seit der Bundesrat 2011 mit dem afrikanischen Land die «Migrationspartnerschaft» vereinbarte.

Ist die Aufenthaltsbewilligung weg, bleiben viele Ausländer einfach illegal im Land. Ott: «Sehr viele tauchen unter. Bei Kontrollen finden wir in 90 Prozent der Fälle jemanden, der illegal hier ist.» Noch vor wenigen Jahren sei das nur in der Hälfte der Fälle passiert.

Im März beschloss das Parlament, die Ausschaffungsinitiative nach über vier Jahren doch noch umzusetzen. Alexander Ott erwartet davon nicht viel: «Es ist eine Verschärfung und wird mehr Fälle geben», sagt er. Doch: «Man müsste die Stellen bei der Justiz und den Migrationsbehörden massiv aufstocken, um das zu bewältigen.»

Experte: «Möglicherweise droht ein Chaos»

Im Vollzug drohten neue Probleme, weil die Zuständigkeiten zwischen Behörden und Gerichten im Gesetz nicht geregelt seien. Ott: «Möglicherweise droht ein Chaos.»

Das Gesetz könnte schon im Herbst in Kraft treten. Doch die Politiker diskutieren nicht über den Vollzug, sondern über die sogenannte Härtefallklausel.

Die Richter sollen von einer Ausschaffung absehen können, «wenn diese für den Ausländer einen schweren persönlichen Härtefall» mit sich bringe. So steht es im neuen Gesetz.

Aus Sicht von Adrian Amstutz, SVP-Fraktionschef und Co-Präsident des Initiativkomitees, ist es deswegen praktisch wirkungslos: «Damit erhält der Richter wieder den heute schon bestehenden Ermessensspielraum. Wir wollen aber, dass kriminelle Ausländer obligatorisch ausgeschafft werden.»

SP-Fraktionspräsident Andy Tschümperlin, Spezialist der Sozialdemokraten für die Ausschaffungsinitiative, sieht das anders: Das Gesetz sei sehr hart. Es brauche die Härtefallklausel. «So sind die völkerrechtlichen Garan­tien gewahrt.»

Ob das neue Gesetz zu mehr Ausschaffungen führt, ist fraglich. Die SVP steht erneut parat: Bereits 2016 soll das Volk über die Durchsetzungsinitiative abstimmen. Sie will die automatische Ausschaffung von kriminellen Ausländern in der Verfassung festschreiben.

Experte Ott sieht den Vorstoss mit grosser Skepsis: «Auch die Durchsetzungsinitiative löst die Prob­leme im Vollzug nicht.»

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