Die Tessiner Polizisten sind auf Enthüllungs-Mission. Seit einem Monat gilt im Südschweizer Kanton das Verhüllungs-Verbot, das für das Tragen von Gesichtsschleiern eine Busse vorsieht. Mehrere Touristinnen aus dem arabischen Raum haben die Beamten seither angehalten und auf das neue Gesetz aufmerksam gemacht – mit überraschendem Resultat: Alle der angesprochenen Frauen lüfteten kurzerhand ihren Schleier. Bisher wurde erst eine Ausländerin gebüsst.
Für Saïda Keller-Messahli, Gründerin und Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam, ist das eine erfreuliche Entwicklung. «Für mich hat sich damit bestätigt: Die Frauen sind eigentlich sehr froh um eine solche Vorschrift», sagt die gebürtige Tunesierin. «Das Verbot ist für sie eine Möglichkeit, sich als Mensch und nicht als Phantom in der Öffentlichkeit zu zeigen.» Sehr viele Frauen seien dankbar, bekämen sie die Möglichkeit, ihren Schleier abzunehmen, glaubt sie.
Zudem gebe das neue Gesetz auch den Männern einen Denkanstoss. «Sie erleben, dass es Orte gibt, in der ein solches Gefängnis aus Stoff für die Frau von einer demokratischen, freien Gesellschaft nicht akzeptiert wird», sagt Keller-Messahli.
Botschaft informierte Saudis über Verbot
Ein Grund für die weitgehend problemlose Durchsetzung des neuen Gesetzes ist die offensive Informationspolitik der arabischen Staaten. Die Botschaft Saudi-Arabiens beispielsweise hat ihre Bürger in einem Brief auf das Burka-Verbot aufmerksam gemacht. Darin bat sie die Saudis, «die Bestimmungen und Gesetze der Schweiz einzuhalten, um jedwelche Konflikte zu vermeiden».
Die Tessiner Behörden haben zudem in Hotels Flyer aufgelegt, die auf das Gesetz und die drohenden Bussen in der Höhe von bis zu 10'000 Franken aufmerksam machen. Darin bedanken sie sich bei den Touristen höflich für das Verständnis und die Kooperation.
Unterschriftensammlung für nationales Gesetz am Laufen
Die guten Erfahrungen, die der Kanton Tessin mit dem Burka-Verbot macht, sind aus Sicht Keller-Messahlis Grund genug, nun auch ein nationales Verschleierungsverbot zu befürworten. Die Unterschriftensammlung für eine entsprechende Volksinitiative der SVP läuft derzeit.
«Die arabischen Touristen verstehen nicht, dass in jedem Kanton andere Gesetze gelten», meint Keller-Messahli. Würde nach Frankreich ein weiteres Land ein nationales Verhüllungsverbot aussprechen, würde das nicht nur Touristen, «sondern vielleicht auch den saudischen Herrschern zu denken geben». (lha)