Der türkische Geheimdienst MIT spioniert Landsleute in ganz Europa aus. In Deutschland wurde nun publik, dass Erdogans Agenten dem deutschen Bundesnachrichtendienst eine Liste mit über 300 Personen und über 200 Institutionen übergaben, die sie der Gülen-Bewegung zurechnen und die damit quasi als «Terroristen» gelten. Die Liste beinhaltet Adressen, Handynummern oder Fotos der Bespitzelten. Aus Sorge um die Sicherheit der Betroffenen haben einzelne Bundesländer begonnen, diese vor der MIT-Überwachung und drohenden Repressalien zu warnen.
NDB: «Kein Kommentar»
Auch in der Schweiz werden Gülen-Anhänger und Erdogan-Gegner bespitzelt. So wurden etwa an der Uni Zürich Teilnehmer von Veranstaltungen zu türkischen Themen fotografiert und gefilmt. Ein ehemaliger MIT-Spion schätzt in der Sendung «10vor10» die aktuelle Zahl türkischer Agenten hierzulande auf 40 bis 50.
Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die Frage: Hat auch die Schweiz von der Türkei eine «Terroristen»-Liste erhalten?
«Kein Kommentar», heisst es beim Nachrichtendienst des Bundes (NDB) dazu. NDB-Sprecherin Isabelle Graber bleibt allgemein: «Der NDB analysiert die Lageentwicklung in der Türkei und deren Auswirkungen auf die türkische Diaspora in der Schweiz aufmerksam und laufend. Bei Bedarf werden von den Sicherheitsbehörden Massnahmen ergriffen.»
Geheimdienst-Aufsicht macht Türkei zum Thema
Klar ist: Die Geschäftsprüfungsdelegation (GPdel) der eidgenössischen Räte wird sich als Aufsichtsorgan über den Geheimdienst mit der Thematik befassen.
Das bestätigt GPDel-Präsident und SVP-Ständerat Alex Kuprecht (SZ): «Das Thema werde ich anlässlich der nächsten Sitzung mit dem Direktor des NDB ansprechen», lässt der derzeit im Ausland weilende Kuprecht via Mail wissen. Bisher habe er aber «keine Kenntnis solcher Listen».
Die Türkei sei an der nächsten GPDel-Sitzung im April «ein wichtiges Thema», erklärt auch FDP-Nationalrätin Corina Eichenberger (AG). Dabei steht allgemein die Frage des politischen Nachrichtendienstes im Raum. «Eine Bespitzelung politischer Gegner geht überhaupt nicht», sagt die Sicherheitspolitikerin. «Der Rechtsstaat gilt für alle, das müssen wir der Türkei klarmachen.»
Sollte sich zeigen, dass auch die Schweizer Behörden eine Liste erhalten haben, müsse der NDB der GPDel über seinen Umgang damit Auskunft geben, fordert Eichenberger. «Dann wird sich auch die Frage stellen, ob die Betroffenen wie in Deutschland informiert und gewarnt werden müssten.»
Betroffene sollen informiert werden
Das findet auch FDP-Ständerat Josef Dittli (UR), der letzte Woche bei der Bundesanwaltschaft Strafanzeige gegen unbekannt wegen politischen Nachrichtendienstes eingereicht hat. «Es würde mich nicht überraschen, wenn auch die Schweiz eine Gülen-Anhänger-Liste erhalten hat», sagt der frühere Urner Sicherheitsdirektor.
In diesem Fall müssten die Behörden zwingend überprüfen, ob eine Information der Betroffenen nötig und sinnvoll sei. «Wenn für Einzelne eine konkrete Gefährdung besteht, sollten sie darüber ins Bild gesetzt werden», so Dittli. «Wir müssen auch für Türken und Doppelbürger, die in der Schweiz leben, die Sicherheit gewährleisten.»
Es sei nicht auszuschliessen, dass sich auch die Sicherheitspolitische Kommission mit der Thematik befassen wird, sagt Dittli als deren Vizepräsident: «Vor allem dann, wenn ein Fall wie in Deutschland Auswirkungen auf die nationale Sicherheit haben würde.»
Für Grünen-Fraktionschef Balthasar Glättli (ZH) ist indes klar: «Wenn es eine solche Liste gibt, müssen die Schweizer Behörden die betroffenen Personen rasch warnen.» Sollte der Bund nicht selber tätig werden, will Glättli in der Sondersession vom Mai vorstössig werden, «in dem Sinne, dass die Schweiz Betroffene proaktiv informieren soll».