Flucht in die Schweiz
Beschleunigte Asylverfahren kommen verspätet

Am 1. Januar 2019 wollte der Bund das neue Asylverfahren in Kraft setzen. Daraus wird nichts. Das Staatssekretariat für Migration rechnet jetzt frühestens «im Verlauf des Jahres 2019» mit einer verschärften Gangart.
Publiziert: 22.04.2017 um 23:50 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 09:35 Uhr
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Bundesrätin Simonetta Sommaruga beim Besuch eines Asylzentrums.
Foto: PETER GERBER
Cyrill Pinto

Für Simonetta Sommaruga (56, SP) war es ihr grösster Triumph als Bundesrätin: Am 5. Juni 2016 sagten 68 Prozent der Stimmbevölkerung Ja zur Beschleunigung der Asylverfahren. Jahrelang hatte die Magistratin auf diesen Tag hingearbeitet. Die echte Schwerarbeit begann offensichtlich aber erst an jenem 5. Juni: Bei der Umsetzung des neuen Asylgesetzes harzt es.

Das neue, beschleunigte Asylverfahren ist schon vor dem Start in Verzug geraten. Zum 1. Januar 2019 wollte der Bund das neue Regime einführen. Recherchen von SonntagsBlick zeigen: Daraus wird nichts. «Die Inkraftsetzung des neuen Asylgesetzes wird voraussichtlich im Verlauf des Jahres 2019 erfolgen», sagt Jonas Montani vom Staatssekretariat für Migration (SEM) und bestätigt damit indirekt Probleme bei der Planung. Das neue Asylregime könnte sogar erst noch später in Kraft treten.

Der Bund will 19 Standorte einrichten

Grösster Stolperstein ist offenbar die bisher nicht bereitstehende In­frastruktur. In den sechs geplanten Asylregionen für Asylbewerber  müssten in knapp anderthalb Jahren insgesamt 5000 Plätze bereitstehen. 19 Standorte will der Bund dafür einrichten. Bei acht der geplanten Bundeszentren jedoch wurde laut dem Anfang April veröffentlichten Sachplan Asyl bisher lediglich grob die Machbarkeit abgeklärt. Darunter sind auch mehrere Zentren, die noch gar nicht gebaut worden sind, zum Beispiel am geplanten Standort Turtmann VS. Auf dem Gebiet der 1000 Einwohner zählenden Oberwalliser Gemeinde, einem 3,6 Hektar grossen Gelände im Besitz der Armee, plant der Bund 480 Unterbringungs- und 180 Arbeitsplätze.

Die Gemeinde hat nun bis Mai Zeit, ihre Stellungnahme zu diesem Sachplan abzugeben. Für Gemeindepräsident Marcel Zenhäusern (56, CVP) ist klar: «Die Mehrheit der Bevölkerung ist gegen ein Asylzentrum in unserer Nachbarschaft.»

Auch im Tessin und im Kanton Obwalden wehren sich lokale Politiker bisher erfolgreich gegen die Einrichtung eines Asylzentrums des Bundes.

Und nicht nur der Widerstand der Gemeinden und Kantone bringt die Asylreform in Verzug: Anderthalb Jahre vor dem Start ist noch immer kein Standort in der Nordwestschweiz definiert. Laut Sachplan müsste dieser «im Kanton Basel-Landschaft oder im Aargau gefunden werden».

Provisorien bedeuten zusätzliche Kosten

Auch von den zwei benötigten Standorten für sogenannte Besondere Zentren, in denen gewalttätige Flüchtlinge untergebracht werden sollen, ist erst einer definiert: das Zentrum in Les Verrières NE. Der zweite Standort ist noch offen. Laut SEM-Sprecher Montani müssen an Standorten, an denen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Asylgesetzes noch keine Zentren bereitstehen, Übergangslösungen geschaffen werden.

Diese Provisorien bedeuten für die Bundes­kasse zusätzliche Kosten. Um welche Summen es geht, will das Staatssekretariat für Migation nicht verraten. Sie bewegten sich «innerhalb des vom Bundesrat vorgegebenen Finanzrahmens», lässt das SEM dazu lediglich verlauten.

Neben der Infrastruktur bereitet dem Bund auch die Personallage Probleme bei der Umsetzung des neuen Asylregimes. Ein Grossteil der SEM-Mitarbeiter, die heute in Bern tätig sind, muss sich für eine Stelle in den neuen Zentren zunächst bewerben – ein Prozess, der eineinhalb Jahre vor dem geplanten Start des neuen Regimes noch nicht einmal begonnen hat. Beim SEM heisst es dazu wolkig: Die Bedingungen, unter welchen neue Mitarbeiter für Bundesasylzentren rekrutiert würden, seien derzeit noch «Gegenstand der laufenden Diskussionen».

Probleme bei der Rekrutrierung

Maria Bernasconi (61), Generalsekretärin des Personalverbandes des Bundes, weiss von den Problemen bei der Rekrutierung: «Bei uns melden sich regelmässig Angestellte des Staatssekretariats, die Rat suchen.» Bernasconi weiter: «Bei vielen Mitarbeitern steht einiges auf dem Spiel.» Ende Monat sei zu diesen Fragen ein Treffen des Personalverbandes mit der Leitung des Staatssekretariats für Migration angesetzt.

Dass die neue Asylpolitik des Bundes noch nicht per 1. Januar 2019 in Kraft gesetzt wird, hört Miriam Behrens von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zum ersten Mal: «In dieser Deutlichkeit wurde uns das vonseiten des Bundes noch nie gesagt!»

Es habe aber schon länger Anzeichen dafür gegeben, dass der Starttermin zumindest optimistisch geplant worden sei. Auch Philipp Müller (64), der an vorderster Front für die Reform gekämpft hat, sind die Verzögerungen bei der Umsetzung neu. Der FDP-Ständerat sieht das aber gelassen: «Alle wussten, dass es nicht einfach würde – insbesondere bei der Standortfrage.»Dabei hatte Bundes­rätin Sommaruga immer wieder betont, dass ihr Prestigeprojekt pünktlich in Kraft gesetzt werde, zuletzt Ende Februar. Im Parlament erklärte sie auf eine entsprechende Anfrage: «Wir sind auf Kurs.»

Verfahren in 140 Tagen abgeschlossen

Asylverfahren sollen in Zukunft schneller durchgeführt werden – in Asylzentren des Bundes. Dies ist der Kern der 2015 vom Parlament beschlossenen und 2016 vom Volk bestätigten Asylgesetzrevision. In 19 Bundes-zentren, verteilt auf sechs Regionen (Grafik), sollen Asylsuchende untergebracht werden, bei denen vertiefte Abklärungen nötig sind. Nach Plänen des Bundes sollen dort ab 2019 rund 60 Prozent der Verfahren in 100 bis 140 Tagen abgeschlossen sein. Kompliziertere Prüfungen dürfen nicht länger als ein Jahr in Anspruch nehmen. Damit die Verfahren trotz der Beschleunigung rechtsstaatlich korrekt und fair abgewickelt werden können, sollen Asylsuchende eine Rechtsvertretung erhalten, die aus Steuermitteln bezahlt wird.

Asylverfahren sollen in Zukunft schneller durchgeführt werden – in Asylzentren des Bundes. Dies ist der Kern der 2015 vom Parlament beschlossenen und 2016 vom Volk bestätigten Asylgesetzrevision. In 19 Bundes-zentren, verteilt auf sechs Regionen (Grafik), sollen Asylsuchende untergebracht werden, bei denen vertiefte Abklärungen nötig sind. Nach Plänen des Bundes sollen dort ab 2019 rund 60 Prozent der Verfahren in 100 bis 140 Tagen abgeschlossen sein. Kompliziertere Prüfungen dürfen nicht länger als ein Jahr in Anspruch nehmen. Damit die Verfahren trotz der Beschleunigung rechtsstaatlich korrekt und fair abgewickelt werden können, sollen Asylsuchende eine Rechtsvertretung erhalten, die aus Steuermitteln bezahlt wird.

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