Frank A. Meyer
Generalverdacht

Publiziert: 31.07.2016 um 12:06 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 12:05 Uhr
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Frank A. MeyerPublizist

Kann man sich das Leiden des Priesters Jacques Hamel vorstellen, dem zwei Terroristen im Auftrag des IS die Kehle durchschnitten und ihn dann enthaupteten? Das Verbrechen geschah in der Kirche von Saint-Étienne-du-Rouvray in Rouen, wo der Abbé gerade die Messe las – in seiner Kirche, vor den Augen seiner Gemeinde-mitglieder.

Nein, man will sich das Leiden des 86-Jährigen nicht vorstellen. Man versucht reflex­artig, die Gedanken zu verdrängen, die das Bild dieses Mordes an einem Wehrlosen hervorrufen. Und doch dringen sie ins Bewusstsein: das Messer, der Schnitt, das Blut – die Vorstellung des Unvorstellbaren.

Nach dem Attentat stürzten die Mörder aus der Kirche und brüllten: «Allahu Akbar» – Allah ist gross. Dann wurden sie von der ­Polizei erschossen.

Die unvorstellbaren Leiden von Abbé Hamel fügen sich zu all den Leiden hinzu, die durch Terrortaten im Namen Allahs heraufbe­schworen wurden, heraufbeschworen werden, in immer kürzeren Abständen, überall in unserer heimischen europäischen Welt: in Ansbach mit 15 Verletzten, bei Würzburg mit fünf Verletzten, in Nizza mit 84 Toten – dies nur die aktuelle Bilanz, die Bilanz weniger Wochen.

Die Gewalt, die so unvorstellbares Leid über unschuldige Menschen bringt, entspringt dem furchtbar fruchtbaren Schoss des islamischen Glaubens. Sie entspricht den mittelalterlich-sadistischen Strafen seines Rechtssystems: Auspeitschen, Steinigen, Händeabhacken, Köpfen, Hängen – alles öffentlich, zum Schrecken wie zur Lust gaffender Gläubiger, offiziell praktiziert von Staaten, die wir zu unseren hochgeschätzten Handelspartnern zählen, ­allen voran der Ölmonarchie Saudi-Arabien.

Wie reagieren Politik und Publizistik auf die Welle der religiös begründeten Gewalt? Mit Entsetzen, Ratlosigkeit und Mitgefühl. Wie es sich gehört.

Doch nahezu routinemässig bemitleiden Meinungsgewaltige neben den Opfern des Terrors weitere Opfer und lassen ihnen allergrösste Sympathie zuteilwerden: Muslimen, insbesondere muslimischen Migranten.

Ihnen dürfe nicht mit «Generalverdacht» begegnet werden, lautet die Sprachregelung, die nach jedem Attentat aufs Neue ausgegeben, ja befohlen wird. Wer immer nach einer Terrorbluttat skeptisch oder bange auf Einwanderermilieus blickt und dies vielleicht noch offen eingesteht, dem hält man vor,

Islamophobie und Rassismus zu befördern – eine Diffamierung, systematisch betrieben von ­liberal bis links.

Das Leiden der Terroropfer wird verdrängt durch einfühlsam geschildertes Leiden der ­Migranten.

Im Zürcher «Tages-Anzeiger» war jüngst die Überschrift zu lesen: «Flüchtlinge leiden da­runter, das man ihnen Verbrechen zutraut.» Welch berührender Hinweis! Er setzt jede Bürgerin, jeden Bürger, der im Bus, in der Bahn, im Restaurant, auf der Strasse, im Flugzeug vorsichtig, vielleicht auch misstrauisch fremde junge Menschen mustert, ins Unrecht: Hegt da jemand nicht schon den verbotenen Generalverdacht?

Kaum eine Gelegenheit wird ausgelassen, um Anklage gegen den Generalverdacht zu erheben. Das Zweite Deutsche Fernsehen zeigte in seiner Hauptnachrichtensendung am Freitag, wie man das macht: Es missbrauchte einen Beitrag über den Besuch von Papst Franziskus im Vernichtungslager Auschwitz für den

Auftritt einer Migrantin, die beteuerte, nicht alle Migranten seien Verbrecher – als habe das ­jemand behauptet.

1,2 Millionen Juden wurden in Auschwitz ­ermordet. Der Papst betete in stiller Einkehr. Er tat es in der Todeszelle des Franziskaner-paters Maximilian Kolbe, der 1941 hingerichtet wurde.

Was hat die Verletztheit einer Migrantin zu tun mit dem unermesslichen Leid, das die Deutschen den Juden zufügten, dem mit nichts gleichzusetzenden Menschheitsver­brechen?

Der Begriff des Generalverdachts ist eine Schöpfung der Sprachpolizei aus Politik und Publizistik. In Wirklichkeit gibt es diesen Verdacht gar nicht. Die Migranten ­leben unter uns, ohne verdächtigt oder drangsaliert zu werden. Die Rechtsextremen, die allem Fremden feindlich sind, finden bei der Bevölkerung kein Gehör.

Dennoch nennt man Fremdenhass, was lediglich berechtigte Sorge ist: Dass zu viele zu rasch Zugewanderte aus patriarchalischen und autoritären Gesellschaften ihre Anpassung an die freiheitlich-demokratische Zivilisation schwierig machen – und dass dies zu kulturellen Konflikten führen kann.

In Deutschland erkühnte sich Sahra ­Wagenknecht, führende Politikerin der Partei Die Linke, zu der Bemerkung: «Die Ereignisse der letzten Tage zeigen, dass die Aufnahme und Integration einer Grosszahl von Flüchtlingen und Zuwanderern mit ­erheblichen Problemen verbunden und schwieriger ist, als Merkels leichtfertiges ‹Wir schaffen das› uns im letzten Herbst einreden wollte.»

Diesen einfachen Befund durfte die Bundestagsabgeordnete nicht äussern. Er wurde ihr von der eigenen Partei als rechtspopulistisch vorgehalten – als Generalverdacht gegenüber Migranten, dem sie das Wort rede. Sie musste ihrer Beschreibung der Wirklichkeit abschwören, weil sie der verordneten liberalen und linken Wahrnehmung widersprach. 

Aus Verständnis für die Migranten ist Vergötzung geworden. Wer wagt es schon, ein kritisches Wort über Schutzsuchende fallen zu lassen? Allein das moralisch aufgeladene Tabu-Wort «Schutzsuchende», unter das eilfertig sämtliche Migranten subsumiert werden, verbietet jeden Einwand.

In der «Süddeutschen Zeitung» fand die Schriftstellerin und Kolumnistin Carolin Emcke warme Worte für das Leid der islamistischen Attentäter von Paris. Neben dem Leid der Opfer verdienten sie ebenfalls Mitleid: Auch «das gescheiterte Leben der Täter gilt es zu betrauern», denn «was wäre das für eine Gesellschaft, die nicht auch trauert ­darüber, was für verlorene Existenzen das waren».

Zum Leid des Priesters Jacques Hamel gesellt sich das Leid der Täter, die ihn köpften. Und bei allem Mitleid mit den Tätern darf auch das Leid der Migrantenszene nicht vergessen werden, die sich beleidigt fühlt, wann immer ­jemand kritisch in ihre Richtung schaut.

Wahrlich, viel Leid ist in der Welt!

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