Exklusive Studie enthüllt
Jeder zweite Muslim fühlt sich diskriminiert

55 Prozent der in der Schweiz lebenden Muslime seien im letzten Jahr von Diskriminierung betroffen gewesen. Selbst tätliche Angriffe gehören zum Alltag. Das besagt eine Pilotstudie von GFS Bern. Doch die Muslime wollen sich nicht länger verstecken, sondern Teil der Schweizer Gesellschaft sein.
Publiziert: 02.01.2018 um 23:44 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 05:00 Uhr
Oft nicht anerkannt, sondern feindselig beobachtet: ein Muslim beim Beten.
Foto: ALESSANDRO DELLA BELLA
Florian Wicki

Sie werden feindselig angeschaut, bespuckt, gemobbt: Muslime in der Schweiz fühlen sich als Aussenseiter, Fremdkörper, als Unerwünschte. Und sie haben Angst. Angst, ihre Religion offen auszuleben, Angst vor Diskriminierung und Gewalt.

Nicht ohne Grund: 55 Prozent von ihnen wurden in den letzten zwölf Monaten entweder selbst diskriminiert oder kennen Betroffene. Das ist deutlich mehr als in der Gesamtbevölkerung, wo gemäss Rassismus-Monitor 20 Prozent Diskriminierungserfahrung haben.

Erste Umfrage mit Fokus auf Muslime

Das ist das Ergebnis einer Pilotstudie, die das Forschungsinstitut GFS Bern im Auftrag der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) und in Zusammenarbeit mit weiteren muslimischen Organisationen erstellt hat und die BLICK exklusiv vorliegt. GFS Bern hat in einem Zeitraum von drei Monaten Angehörige der muslimischen Gemeinden in der Schweiz befragt, ob und wie sie mit Diskriminierung in Kontakt gekommen sind, was die Gründe dafür waren.

Die Studie sei nicht repräsentativ, wie GFS-Chef Lukas Golder sagt (siehe Interview). So wurden lediglich 511 Musliminnen und Muslime befragt, deren Adressen die Forscher über acht muslimische Vereine erhalten hatten.

Zudem sind Türken, Deutschschweizer Muslime und Konservative übervertreten. Vor allem Letzteres stört die muslimische Politologin Elham Manea: «Das ist nicht das Abbild der Muslime in der Schweiz. Die Umfrage bildet nur einen kleinen und besonders religiösen Teil der Gemeinschaft ab», sagt sie.

Dennoch gibt die Umfrage Einblick in einen Alltag, den Schweizer nicht kennen. Und sie weist auf Baustellen hin, an denen beide Seiten arbeiten müssen.

Schweineköpfe vor der Moschee

So geben zum Beispiel 35 Prozent der Befragten an, sie hätten schon Hasskriminalität erlitten. Darunter werden gewalttätige Straftaten verstanden, die sich gegen Personen und Objekte richten, die als «fremd» oder «anders» betrachtet werden.

Die Palette reicht von zerstörten Aussenspiegeln am Auto über Drohungen bis zu Schweineköpfen vor der Moschee und Brandanschlägen – auf Gebäude wie auf Personen. 73 Prozent der Befragten gehen «mit Sicherheit» davon aus, dass sie wegen ihrer Religion angegriffen wurden. 

Besonders Kopftuch tragende Frauen werden Opfer der Attacken: Sie werden im Supermarkt angespuckt, aus dem Tram gestossen, geschlagen. Verschiedene Frauen berichten, dass versucht wurde, ihnen das Kopftuch herunterzureissen, eine Frau sagt, man habe mehrmals Bier über ihren Kopf geleert. 57 Prozent der Befragten sagen, dass sie sich im Alltag bewusst zurückhaltend verhalten, um nicht aufzufallen.

Muslime wollen mehr anerkannt werden

Die Schweizer Muslime wollen sich aber nicht länger verstecken. 87 Prozent sind der Meinung, dass der Islam in der Schweiz nicht genügend anerkannt wird. 86 Prozent wünschen sich, dass Muslime im Alltag eine sichtbarere Rolle einnehmen. Und sie wollen sich mehr integrieren: 69 Prozent der Befragten möchten, dass ein Schweizer Imam-Zentrum geschaffen wird, wo die hierzulande tätigen Imame ausgebildet werden.

Diese Idee ist auch in der Politik angelangt. So hat SP-Präsident Christian Levrat (47) letzten November bekannt gegeben, dass seine Partei den Islam in die Pflicht nehmen und analog zu den Landeskirchen anerkennen lassen will.

So müssten sich die muslimischen Vereine zu den demokratischen Werten in der Schweiz bekennen, dürften dafür im Gegenzug aber Steuern einziehen und offiziell Religionsunterricht erteilen. Der Vorschlag stiess aber bei den anderen Parteien bisher auf wenig bis gar kein Wohlwollen.

«Die Studie ist relevant – trotz der Kritik»

BLICK: Ihr Umfrageinstitut GFS Bern hat  im Aufrag der UETD, der Union Europäisch-Türkischer Demokraten, eine Befragung gemacht. Die UETD ist der  verlängerte Arm des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Der auch schon mal Erdogan-Kritiker in der Schweiz filmt. Wieso haben Sie den Auftrag angenommen?

Lukas Golder: Als die UETD vor drei Jahren das erste Mal Kontakt mit uns aufnahm, war die Situation in der Türkei noch eine ganz andere. Auch die UETD Switzerland stand noch nicht wirklich in der Kritik. Zudem hatten wir kurz vorher eine Studie abgeschlossen, die zeigte, dass sowohl Schweizer wie auch Ausländer verbreitet muslimfeindlich eingestellt sind. Wir erachteten daher auch die Perspektive der Musliminnen und Muslime in der Schweiz als relevant. Trotz der totalitären Züge, die die Türkei mittlerweile hat, und trotz der Kritik an der UETD.

Wie viel Geld haben Sie von der UETD erhalten?
Rund 50’000 Franken. Wir haben die vergangenen drei Jahre dafür recht intensiv gearbeitet.

Wie hat sich die UETD eingebracht? Hat sie Ihnen die Fragen diktiert?
Nein. Die Zusammenarbeit mit der UETD verlief sehr professionell, und unsere wissenschaftliche Unabhängigkeit war nie infrage gestellt. Für uns war eine breite Abstützung wesentlich. Daher haben wir eine Trägerschaft aus verschiedensten muslimischen Vereinen ins Leben gerufen, die sehr viel breiter ist als die relativ kleine Organisation UETD. Nach der Kritik in der Schweiz an der UETD und an den totalitären Tendenzen der Türkei haben wir uns noch einmal nach allen Seiten abgesichert. Erst dann haben wir die Studie publiziert. Sie ist nun für Kritik offen.

Es sind also nicht vor allem Erdogan-Anhänger zur Sprache gekommen?
Nein, wir haben verschiedenste Wege gehabt, um Listen mit Namen zu erhalten, und man konnte sich auch direkt bei uns einbringen. Die breite und relativ umfassende Abdeckung muslimischer Kreise war für die Pilotstudie auch wesentlich. Wir sind der Meinung, dass es gewisse Verzerrungen geben kann, gewisse Tendenzen, vor allem im türkischen Lager, wo die UETD half, Adressen zu sammeln, aber wir haben das auch bestmöglich abgesichert.

Haben die Befragten gewusst, dass die UETD die Studie bezahlt hat?
Ja, das war transparent. Wie immer.

Die Studie ist nicht repräsentativ. Wie gross ist ihre Aussagekraft?
Wir haben den Eindruck, dass wir ein sehr breites Feld von Muslimen erfragt haben und sehr breite Muster von Diskriminierungerfahrungen und Einstellungen zum Ausdruck kommen. Aber eben: Es ist eine Pilotstudie, die den Anstoss zu weiterer Forschung geben soll.

Was war für Sie das spannendste Ergebnis?
Dass die islamkritische Medienberichterstattung tatsächlich die Einstellung mitprägt. Die Muslime verschliessen sich nicht gegenüber Schweizer Medien, sie konsumieren sie, sie sind integriert, hier zu Hause und auch zu einem guten Teil interessiert. Und trotzdem nehmen sie sehr verbreitet das Muster wahr, dass sie sehr stereotyp dargestellt werden, und immer in die Ecke des Terrors, des Extremismus und des Islamismus geschoben werden. Das hat ein tiefes Diskriminierungsgefühl geweckt.

BLICK: Ihr Umfrageinstitut GFS Bern hat  im Aufrag der UETD, der Union Europäisch-Türkischer Demokraten, eine Befragung gemacht. Die UETD ist der  verlängerte Arm des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Der auch schon mal Erdogan-Kritiker in der Schweiz filmt. Wieso haben Sie den Auftrag angenommen?

Lukas Golder: Als die UETD vor drei Jahren das erste Mal Kontakt mit uns aufnahm, war die Situation in der Türkei noch eine ganz andere. Auch die UETD Switzerland stand noch nicht wirklich in der Kritik. Zudem hatten wir kurz vorher eine Studie abgeschlossen, die zeigte, dass sowohl Schweizer wie auch Ausländer verbreitet muslimfeindlich eingestellt sind. Wir erachteten daher auch die Perspektive der Musliminnen und Muslime in der Schweiz als relevant. Trotz der totalitären Züge, die die Türkei mittlerweile hat, und trotz der Kritik an der UETD.

Wie viel Geld haben Sie von der UETD erhalten?
Rund 50’000 Franken. Wir haben die vergangenen drei Jahre dafür recht intensiv gearbeitet.

Wie hat sich die UETD eingebracht? Hat sie Ihnen die Fragen diktiert?
Nein. Die Zusammenarbeit mit der UETD verlief sehr professionell, und unsere wissenschaftliche Unabhängigkeit war nie infrage gestellt. Für uns war eine breite Abstützung wesentlich. Daher haben wir eine Trägerschaft aus verschiedensten muslimischen Vereinen ins Leben gerufen, die sehr viel breiter ist als die relativ kleine Organisation UETD. Nach der Kritik in der Schweiz an der UETD und an den totalitären Tendenzen der Türkei haben wir uns noch einmal nach allen Seiten abgesichert. Erst dann haben wir die Studie publiziert. Sie ist nun für Kritik offen.

Es sind also nicht vor allem Erdogan-Anhänger zur Sprache gekommen?
Nein, wir haben verschiedenste Wege gehabt, um Listen mit Namen zu erhalten, und man konnte sich auch direkt bei uns einbringen. Die breite und relativ umfassende Abdeckung muslimischer Kreise war für die Pilotstudie auch wesentlich. Wir sind der Meinung, dass es gewisse Verzerrungen geben kann, gewisse Tendenzen, vor allem im türkischen Lager, wo die UETD half, Adressen zu sammeln, aber wir haben das auch bestmöglich abgesichert.

Haben die Befragten gewusst, dass die UETD die Studie bezahlt hat?
Ja, das war transparent. Wie immer.

Die Studie ist nicht repräsentativ. Wie gross ist ihre Aussagekraft?
Wir haben den Eindruck, dass wir ein sehr breites Feld von Muslimen erfragt haben und sehr breite Muster von Diskriminierungerfahrungen und Einstellungen zum Ausdruck kommen. Aber eben: Es ist eine Pilotstudie, die den Anstoss zu weiterer Forschung geben soll.

Was war für Sie das spannendste Ergebnis?
Dass die islamkritische Medienberichterstattung tatsächlich die Einstellung mitprägt. Die Muslime verschliessen sich nicht gegenüber Schweizer Medien, sie konsumieren sie, sie sind integriert, hier zu Hause und auch zu einem guten Teil interessiert. Und trotzdem nehmen sie sehr verbreitet das Muster wahr, dass sie sehr stereotyp dargestellt werden, und immer in die Ecke des Terrors, des Extremismus und des Islamismus geschoben werden. Das hat ein tiefes Diskriminierungsgefühl geweckt.

Schweizer fühlen sich bedroht

Burka, Handschlag, Dschihadisten – der Islam macht vor allem negative Schlagzeilen. Obwohl nur fünf Prozent der Schweizer Bevölkerung muslimischen Glaubens sind, fühlen sich viele Schweizerinnen und Schweizer bedroht. Das Umfrageinstitut GFS Bern hat nun erstmals gezielt Muslime befragt. Darüber, wie sie das Miteinander erleben. BLICK liegen die Ergebnisse exklusiv vor. Ein Anlass, genauer hinzuschauen. In einer vierteiligen Serie beleuchtet BLICK die Probleme der Muslime in der Schweiz und die Probleme mit ihnen: im Alltag, im Berufsleben, in der Politik.

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