Eveline Widmer-Schlumpf zur Flüchtlingstragödie
«Etwas mehr Demut täte uns gut»

Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf (59, BDP) geht das Schicksal der Flüchtlinge nahe. Die Schweiz und die europäischen Staaten müssten nun Verantwortung übernehmen, sagt die Justizministerin im Interview.
Publiziert: 05.09.2015 um 19:05 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 05:36 Uhr
Von Simon Marti

Wie gehen Sie als Mitglied der Landesregierung mit der Flüchtlingstragödie um, die sich an den Grenzen der Europäischen Union abspielt?
Eveline Widmer-Schlumpf:
Die Schweiz ist ein Teil von Europa. Wir müssen gemeinsam mit den europäischen Staaten nach Lösungen suchen. Die Schweiz hat in den letzten Jahren eine gute Asylpolitik gemacht. Wir haben auch kein Asylchaos, entgegen dem, was gerne kolportiert wird. Ich bin überzeugt, dass wir auch diese schwierige Lage meistern werden, wie wir auch schon zahlreiche andere schwierige Situationen bewältigt haben.

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie die Bilder des ertrunkenen Aylan (†3) am Strand von Bodrum gesehen haben?
Ich habe einen Enkel in dem Alter. Das Bild vom ertrunkenen Aylan hat mich sehr betroffen gemacht. Ich denke an die privilegierte Situation, in der wir hier leben und in der meine Kinder und Enkel leben dürfen. Dafür können wir ebenso wenig, wie die Familie des Buben, die an einem anderen Ort ihre Heimat hat. Das beschäftigt sehr. Etwas mehr Demut und Bescheidenheit täte uns gut. Wir müssen uns erinnern, dass nicht alles selbstverständlich ist, was wir hier haben.

Es gibt Stimmen, die das Ende von Schengen-Dublin verkünden. Ist das System gescheitert? Und was kommt danach?
Sicher muss überprüft werden, ob und wie Schengen-Dublin angesichts dieser grossen Migrationsbewegung angepasst werden muss. Ich denke jedoch nicht, dass es als System gescheitert ist. Aber die Lasten müssen unter den europäischen Staaten verteilt werden. Genauso, wie wir das auch in der Schweiz machen, wo die Asylsuchenden auf die Kantone verteilt werden. Das Bewusstsein muss wachsen, dass alle europäischen Staaten in der Verantwortung stehen.

Zugleich spielt in Ungarn Viktor Orbán auf Kosten der Flüchtlinge den starken Mann und lässt einen Zaun an der Grenze hochziehen.
Zäune sind in einer globalisierten Welt keine Lösung. Das kann man aus der Geschichte lernen. Das werden sich auch die Staaten überlegen müssen, die derzeit wieder Mauern beziehungsweise Zäune errichten.

Sie sind heute an der Parteiversammlung Ihrer BDP aufgetreten. Verraten Sie nun, ob Sie nochmals als Bundesrätin kandidieren?
Diese Frage werde ich Ihnen Ende Oktober beantworten (lacht).

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