In Strassburg hielt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eine Grundsatzrede zum Zustand der Union. Das Fazit fiel dramatisch aus: Die Mitgliedstaaten seien zu oft auf ihre eigenen Interessen fixiert, es fehle die Solidarität: «Die EU steckt in einer existenziellen Krise», konstatierte Juncker vor dem EU-Parlament.
Das wird auch Auswirkungen auf die Schweiz haben, ist EU-Experte Thomas Schäubli vom Beratungsunternehmen Wellershoff & Partners überzeugt. «Die Schweiz tendiert zur Schadenfreude, wenn es der EU schlecht geht», sagt er. Doch das sei kurzsichtig. «Die Krise der EU ist schlecht für die Schweiz.» Da gelte nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch, denn: «Eine geeinte EU war bereit, unseren Sonderwünschen entgegenzukommen. Aber heute sind unsere Wünsche die gleichen wie etwa die von Grossbritannien. Das schwächt unsere Verhandlungsposition.»
Juncker wird auch in Zürich hart bleiben
Für die Verfechter des bilateralen Wegs seien das schlechte Nachrichten, sagt Schäubli mit Blick auf Junckers Äusserungen zum Brexit. Er hatte einmal mehr bekräftigt, dass London «keinen Binnenmarkt à la carte» bekommen werde. Freien Zugang zum EU-Wirtschaftsraum gebe es nur gegen die Personenfreizügigkeit.
«Was Juncker an Londons Adresse gesagt hat, werden auch wir am kommenden Montag in Zürich hören», so Schäubli. Anlässlich des Jubiläums der Zürcher Europa-Rede des ehemaligen britischen Premiers Winston Churchill 1946 wird Juncker in Zürich erwartet. Am Rande der Veranstaltung wird er Bundespräsident Johann Schneider-Ammann treffen und, so die Hoffnung, Signale für die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative aussenden.
Selbst Inländervorrang light ist umstritten
Schäubli ist sicher, dass die nicht von ihrer harten Position abweichen wird: «Die Freizügigkeit ist ihr heilig.» Das zeige auch Brüssels Reaktion auf den Inländervorrang light: «Mehr kann man der EU nicht entgegenkommen», so Schäubli. «Aber selbst das ist in der EU noch umstritten.» (sf)