Droht nach Erdogan-Sieg eine Flüchtlings-Welle?
«Der Exodus aus der Türkei hat schon begonnen»

Das Ja zur türkischen Verfassungsreform bedeutet mehr Macht für Präsident Erdogan – und mehr Flüchtlinge für Europa. Davon sind zwei Schweizer türkischer Herkunft überzeugt.
Publiziert: 18.04.2017 um 20:47 Uhr
|
Aktualisiert: 01.10.2018 um 02:18 Uhr
«Ausland oder Gefängnis»: SP-Politiker Mustafa Atici sagt Oppositionellen in der Türkei eine düstere Zukunft voraus.
Foto: KEY
Sermîn Faki

Recep Tayyip Erdogan kann nicht genug bekommen. Kaum hat er die Abstimmung über die Verfassungsänderung gewonnen, kündigt er umgehend an, die Todesstrafe wieder einzuführen. Das lässt für die Tausenden, die der türkische Präsident nach dem Putschversuch im letzten Jahr inhaftieren liess und alle anderen Oppositionellen nichts Gutes erahnen (BLICK berichtete).

Muss sich Europa nun auf mehr türkische Flüchtlinge einstellen?

«Der Exodus aus der Türkei hat schon angefangen», sagt Hacim Sancar, der nach dem Militärputsch 1982 in die Schweiz kam. «Viele Akademiker, Journalisten und Intellektuelle haben das Land bereits verlassen oder bereiten die Ausreise vor», weiss der Sozialarbeiter, der für die Grünen im Berner Grossrat sitzt.

Chaos bedeutet mehr Asylgesuche

Sancar rechnet damit, dass die Spannungen in der Türkei nicht abnehmen werden. Durch die knappe Niederlage habe die Opposition Mut gefasst und werde sich weiter gegen den Sultankurs Erdogans wehren, sagt der Kurde. Und niemand wisse, wie das ausgehen werde. «Ich hoffe nicht, dass es im Chaos endet. Wenn doch, wird es sicher mehr Asylgesuche in Europa geben.»

Noch pessimistischer ist Mustafa Atici, Kurde und Basler SP-Grossrat, der aus der südtürkischen Provinz Kahramanmaras stammt.

Mustafa Atici, SP-Grossrat Basel-Stadt. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
Foto: GEORGIOS KEFALAS

«Die Negativspirale wird sich fortsetzen, Erdogan die Türkei in eine düstere Zukunft führen», sagt er. Nicht weniger düster ist seine Prognose: «In nicht allzu ferner Zukunft werden Andersdenkende in der Türkei nur noch zwischen zwei Dingen wählen können: Ausland oder Gefängnis.» Dann würden sich viele für die Auswanderung entscheiden.

Die Zukunft wird das Land verlassen

Dass der Exodus Ausmasse wie in den Achtzigerjahren annimmt, als Hunderttausende das Land verliessen, glaubt Hasim Sancar jedoch nicht. Die Leute wüssten, wie schwer es sei, in Europa Fuss zu fassen und Arbeit zu finden. Er ist aber überzeugt: «Hoch qualifizierte Junge – die Zukunft des Landes – könnten versucht sein, der Türkei den Rücken zu kehren.»

Das Staatssekretariat für Migration lässt sich unterdessen nicht in die Karten schauen. Ob das Resultat des Referendums einen Einfluss auf die Asylgesuchszahlen haben wird, könne momentan noch nicht zuverlässig prognostiziert werden, richtet es auf BLICK-Anfrage aus.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?